Die Reichsbürgerszene, die sich auch als „Selbstverwalter“ bezeichnet, ist ein bunter Haufen von Menschen, die die Existenzberechtigung der Bundesrepublik Deutschland in Frage stellen und ihr das Existenzrecht absprechen. Reichsbürger ist eigentlich ein Sammelbegriff für mehrere kleine Gruppen, die sich sowohl online als auch persönlich treffen und die die Aufmerksamkeit des Verfassungsschutzes in Deutschland auf sich gezogen haben. Der Name Reichsbürger bezieht sich offensichtlich auf das Deutsche Reich, das zwar 1945 mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs aufgelöst wurde, aber die Gruppe zufolge nicht abgeschafft wurde und somit gelte die Weimarer Verfassung weiter. Damit ist die Bundesrepublik ihrer Ansicht nach rechtswidrig.
Das bringt sie natürlich in den Verdacht, der rechtsextremen Doktrin anzuhängen, vor allem wegen ihrer Nähe zum NS und zu antisemitischer und rassistischer Ideologie, und sie werden als Gefahr vor allem für Minderheiten, aber auch für die Demokratie selbst gesehen. Jetzt haben sie Bock abgeschossen, denn laut ARD und SWR haben sie einen Staatsstreich geplant, und Tausende von Polizisten sind gleichzeitig zu einer Großrazzia in elf Bundesländern ausgerückt. Nach Angaben der Bundesanwaltschaft plante eine Gruppe den Umsturz des Staates – und trainierte mit Waffen für den „Tag X“. Unter den Beschuldigten soll es ex-Elitesoldaten und eine frühere AfD-Bundestagsabgeordnete geben. Angeblich ist auch der 71-jähriger Heinrich XIII. Prinz Reuß Hauptbeschuldigter[i], der Mann, dem nachgesagt wird, dass er so gerne deutscher Kaiser geworden wäre.
Es erinnert an die Putschisten der britischen Oberschicht in den 1970er Jahren. Zu den Verschwörern damals sollen ein Mitglied des konservativen Schattenkabinetts, ein führender Finanzier, der Besitzer des nobelsten Spielclubs Londons und, laut dem ehemaligen Geheimdienstler Peter Wright, Mitglieder des MI5 gehört haben. Sie planten den Sturz der Regierung von Harold Wilson. Kürzlich wurde in der Serie „The Crown“ in der Folge „Coup“ angedeutet, dass Lord Mountbatten darin verwickelt war, aber es wurde ihm abgeraten. Doch in dem Buch „Indian Summer: The Secret History of the End of an Empire“ zitiert der Historiker Alex von Tunzelmann eine Quelle aus dem Buckingham Palast, die gesagt haben soll: „Es war nicht Solly Zuckerman, der Mountbatten davon abbrachte, einen Staatsstreich zu inszenieren und sich selbst zum britischen Premierminister zu machen. Es war die Königin selbst.“
Bei den Ereignissen, die sich immer wieder ereignen, ob in England 1970, in Amerika bei den Unruhen am 6. Januar 2021 oder jetzt bei den gescheiterten Plänen in Deutschland, scheint es keinen Mangel an Menschen zu geben, die glauben, dass in der Vergangenheit alles besser war und dass eine Elite an die Macht gebracht und die Demokratie abgeschafft werden sollte. Es ist beunruhigend zu sehen, wie eine Minderheit von Menschen immer wieder auf die Idee kommen, alles umzustürzen, weil sie nicht zufrieden sind. Man kann auch Brexit da anschließen, mit der Ausnahme, dass immerhin eine kleine Mehrheit beim Referendum dafür stimmten. Dennoch ist es ziemlich klar geworden, dass die Vorteile nicht dem Volk gegolten haben.
Auch wenn diese geplante Staatsreich möglicherwiese von Irren geplant worden war, sie sollen nicht nur einen Umsturz geplant haben, sondern auch teilweise mit Waffen dafür trainiert haben. Stattdessen, am Mittwochmorgen ließ die Bundesanwaltschaft bei einer Razzia 25 Personen aus der Reichsbürgerszene festnehmen. Rund 3000 Beamte waren in elf Bundesländern im Einsatz, sagte eine Sprecherin der Karlsruher Behörde der Deutschen Presse-Agentur. Sie wirft den Beschuldigten vor, den Umsturz des Staates vorbereitet zu haben. Nach Informationen des „Spiegel“ durchsuchten die Beamten mehr als 130 Wohnungen, Büros und Lagerräume.
Vielleicht noch beängstigender als der geplante Putsch, der in den Händen dieser Leute nicht wirklich überzeugend war, ist die Tatsache, dass es in den sozialen Medien lautstarke Menschen gab, die etwas wie „kein Wunder!“ schrieben, und andere, die dies zum Anlass nahmen, sich über die jüngsten Berichte über gewalttätige Asylbewerber zu beschweren. Andere nahmen die Berichte über Klimaproteste und zivilen Ungehorsam mit den Berichten über Verhaftungen zusammen und fragten, wer die wahre Bedrohung sei. Es gibt offensichtlich eine Menge unzufriedene in Deutschland, nicht zuletzt wegen Gruppen wie Q-Anon, die dem Nationalgeographic.de nachsagt: „Seit dem Beginn der Corona-Krise gewinnt die Verschwörungserzählung auch in Deutschland immer mehr neue Anhänger – Beobachtern zufolge die weltweit meisten außerhalb der USA. Sie treffen sich auf Corona-Demonstrationen, wie im August 2020 in Berlin. Die meisten ihrer Aktivitäten finden jedoch im Internet statt. Auf Facebook und YouTube vernetzen sie sich, und in der Messenger-App Telegram.“
Als IKEA-Effekt wird in der Verhaltensökonomik der Zuwachs an Wertschätzung bezeichnet, der selbst entworfenen oder zumindest selbst zusammengebauten Gegenständen im Vergleich zu fertig gekauften Massenprodukten entgegengebracht wird. Der Autor und Kolumnist Sascha Lobo hat auf die Wirkung der anonymen und selbst zusammengesetzten Erzählung von den Anhängern der Verschwörungstheorien hingewiesen, und angedeutet, dass die Menschen die Demokratie als Massenprodukt werten. Eine selbst zusammengestellte Wahrheit ist vielleicht viel interessanter.
Na, dann gute Nacht Deutschland!
[i] https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2022-12/prinz-heinrich-xiii-rechtsextreme-verschwoerung-putsch?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.bing.com%2F