Die Chimäre des Krieges

Und die Sehnsucht nach Frieden

Unter einem weiten, grauen Himmel, auf einer weiten, staubigen, graslosen Ebene,
auf der nicht einmal eine Brennnessel oder eine Distel zu sehen war,
begegnete ich mehreren Männern, die gebeugt auf dem Boden gingen.
Jeder von ihnen trug auf seinem Rücken eine riesige Chimäre[i],
so schwer wie ein Sack Mehl oder Kohle oder wie die Ausrüstung eines römischen Fußsoldaten.
Aber das monströse Tier war kein totes Gewicht,
sondern umhüllte und bedrückte die Männer mit ihren kräftigen und elastischen Muskeln
und krallte sich mit ihren beiden riesigen Krallen in die Brust ihres Reittiers.
Ihr fabelhafter Kopf ruhte auf der Stirn des Mannes
wie eine jener schrecklichen Kaskaden,
mit denen antike Krieger den Schrecken des Feindes zu verstärken hofften.
Ich befragte einen der Männer, warum sie so gingen.
Er antwortete, dass er nichts wisse, weder er noch die anderen,
aber dass sie offensichtlich irgendwohin gingen,
da sie von einem unbezwingbaren Drang zum Gehen getrieben wurden.
Seltsamerweise schien sich keiner der Wanderer an dem wilden Tier zu stören,
das an seinem Hals hing und sich an seinem Rücken festkrallte:
Einer hatte gesagt, dass er es als einen Teil von sich selbst betrachtete.
Diese ernsten und müden Gesichter zeugten nicht von Verzweiflung.
Unter der strahlenden Kuppel des Himmels stapften sie mit ihren Füßen durch den Staub einer Erde, die so trostlos war wie der Himmel,
und gingen mit den resignierten Gesichtern von Menschen weiter, die dazu verurteilt waren,
 für immer zu hoffen.
So zog der Zug an mir vorbei und verschwand in der Atmosphäre des Horizonts an der Stelle,
an der sich der Planet der Neugierde des menschlichen Auges offenbart.
Mehrere Augenblicke lang bemühte ich mich hartnäckig,
dieses Mysterium zu begreifen;
 aber die unwiderstehliche Gleichgültigkeit stürzte sich bald auf mich,
und ich wurde dadurch noch schwerer niedergeschlagen
als sie durch ihre erdrückenden Chimären.

Aus der Sammlung Le Spleen de Paris von Charles Baudelaire.

Ich habe diese Prosa in einer Diskussion gelesen und war sofort ergriffen von dem drastischen Bild des Mannes, dem ein „wildes Tier am Hals hängt und sich in den Rücken krallt“, und dachte an den Krieg, wenn Menschen von einer Besessenheit getrieben werden, die nicht weniger wild und fordernd ist, die sie aber nicht als Besessenheit, sondern als Notwendigkeit zum Weitermarschieren erleben. Unser Wunsch zu verstehen, weicht dem Protest gegen den Wahnsinn, und eine Zeit lang wird die Gleichgültigkeit zurückgehalten, überwältigt uns aber schließlich als Abwehr gegen den Schmerz der Empathie.

Es ist verständlich, dass diese Unfähigkeit, mit den Kämpfenden mitzufühlen, deren unerträgliche Erfahrung unsere Vorstellungskraft herausfordert und Übelkeit hervorruft, zu der Forderung nach einem Ende des Krieges führt. Tausende von Menschen haben gegen den Krieg in der Ukraine protestiert und gegen die militärische Aufrüstung derjenigen, deren Land ausgelöscht wird. Der Ruf nach Diplomatie statt Waffen ist laut, und in die Wut mischen sich Frustration und Angst, und aus den Lautsprechern dringt die Panik, dass ein Weltkrieg mit all seinen Schrecken die Folge der Aufrüstung der Ukraine mit effektiveren Waffen sein könnte.

Niemand, der bei gesundem Verstand ist, kann einen Krieg wollen, sei es ein konventioneller Konflikt oder ein Atomschlag. Das Problem ist, dass diejenigen, die mit dieser „Riesenchimäre“ auf dem Rücken in die Schlacht ziehen, keine andere Perspektive haben, und die von Hass getriebenen Befehlshaber dieser Soldaten sind von ihrer eigenen Besessenheit überwältigt. Die so Besessenen hören nicht auf die Rufe nach Frieden, und für sie ist der einzig gangbare Weg zum Frieden das Ergebnis eines Sieges, und unter den Opfern gibt es eine vage Hoffnung, dass ihre Angreifer diese wilde Bestie nur dann loswerden und einen Weg zum Frieden finden könnten, wenn sie besiegt werden. Die Aussicht, überrannt und einer „kulturellen Säuberung“ unterworfen zu werden, macht sie in ihrem Kampf entschlossen.

Die Welt kann auch nicht tatenlos zusehen und nicht anerkennen, dass in der Vergangenheit die Politik sowohl der westlichen als auch der östlichen Regierungen diesen Konflikt verursacht hat, der vermeidbar war, aber diese Schimäre des Krieges hat den Tätern eine Ideologie der Vorherrschaft, eine heilige Mission und Visionen von Größe gegeben und Dissens und Opposition ausgeschlossen. Die Tatsache, dass ehemals angesehene russische Autoritäten aus den Fenstern hoher Gebäude fallen, ist ein Zeichen dafür, dass interne Konflikte rücksichtslos zum Schweigen gebracht wurden. Die einzige Möglichkeit, diesen Konflikt zu beenden, besteht darin, dass der Anstifter erkennt, dass er keinen Erfolg haben kann, aber selbst dann wird seine Ideologie fortbestehen, wenn die Menschen in Russland nicht in den Aufbau einer gemeinsamen Zukunft einbezogen werden. Einen Konflikt zu gewinnen ist eine Sache, eine friedliche Koexistenz zu gewinnen eine andere.

Hier muss sich der Westen fragen, ob wir in der Lage sind, einen kooperativen und nicht einen konkurrierenden Weg einzuschlagen. Solange wir glauben, dass wir tun können, was wir wollen, weil wir angeblich moralisch überlegen sind, werden wir nicht in der Lage sein, dies zu tun. Unsere Strategie des Globalismus hat sich als äußerst zerstörerisch erwiesen und hat nur den Oligarchen dieser Welt gedient, die mehr Milliardäre als je zuvor geschaffen haben, quasi eine herrschende Elite, deren Religion Profit und Wirtschaftswachstum ist. Es handelt sich praktisch um einen Dauerkonflikt ohne Waffen, aber mit fast ebenso vielen Opfern und Toten, mit einer großen Missachtung von Kulturen und Traditionen und einer Missachtung der menschlichen Schwächen und Bedürfnisse. Es ist wie eine Maschine, die die Welt durchkämmt, wobei die Umwelt von ihren Aktionen gleichermaßen betroffen ist.

Worin besteht letztlich der Unterschied zwischen dieser Maschine und der Chimäre, die die Menschen in den Krieg treibt? Ohne die Erkenntnis, dass die Menschheit in all ihrer Vielfalt eins ist und dass unsere Zukunft nur gemeinsam bewältigt werden kann, werden wir aussterben und der Planet wird eine andere Art an unserer Stelle gedeihen sehen. Wir haben es in der Hand, aber wir müssen zuerst die wilde Bestie zähmen, die vom russischen Volk Besitz ergriffen hat, und dann gemeinsam mit ihm nach Wegen suchen, unsere Unterschiede zu überwinden. Andernfalls wird die Bestie auch von uns Besitz ergreifen, und es wird keine Hoffnung mehr geben.


[i] Die Bezeichnung Chimäre leitet sich von einem Mischwesen der griechischen Mythologie ab. Die Chimära ist ein Feuer schnaubendes Ungeheuer, vorn Löwe, in der Mitte Ziege, hinten Drache, das von Bellerophon getötet wurde.

Böses Blut: Die Geschichte der EugenikAdam Rutherford

(Als Buch – Control: The dark history and troubling present of Eugenics)

Der BBC hat eine sechsteilige Serie auf seine Internetseite Sounds, geschrieben und präsentiert von Adam Rutherford, die die Geschichte der Eugenik verfolgt, wie sie schreiben „von ihren Ursprüngen in den bürgerlichen Salons des viktorianischen Großbritanniens über die Fitter-Familien-Wettbewerbe und Sterilisationsgesetze des Goldenen Zeitalters in den USA bis hin zu den völkermörderischen Schrecken in Nazi-Deutschland.“ Ich fand das Thema so verstörend und zugleich faszinierend, dass ich meine Leser in Deutschland darauf aufmerksam machen wollte. Wer sich die englische Sprache zutraut, möge die Serie einsehen, es befindet sich zurzeit hier:

https://www.bbc.co.uk/sounds/brand/m001fd39

Ich war mit dem Thema Eugenik noch nicht vertraut, dass im viktorianischen Großbritannien aus dem Denken des Sir Francis Galton hervorging, ein englischer Universalgelehrter des viktorianischen Zeitalters: Statistiker, Soziologe, Psychologe, Anthropologe, Tropenforscher, Geograf, Erfinder, Meteorologe, Proto-Genetiker, Psychometriker und Verfechter des Sozialdarwinismus, der Eugenik und des wissenschaftlichen Rassismus. Es handelte sich um eine Theorie zur Züchtung besserer Menschen, die neue biologische Ideen mit dem Erhalt des Imperiums und dem rigiden Snobismus der Bourgeoisie verband. Die Ideen gewannen jedoch schnell an Schwung und wurden von einer Vielzahl von Wissenschaftlern, Sozialreformern und Schriftstellern als moralisches und politisches Bestreben zur Lösung drängender sozialer Probleme aufgegriffen. Diese „Eugeniker“ glaubten, dass wir uns eine bessere Zukunft ohne Krankheiten und Behinderungen, ja sogar ohne Kriminalität und Armut schaffen könnten, indem wir die richtigen Menschen dazu ermutigen, Kinder zu bekommen, und andere davon abhalten, dies zu tun. Die Befürworter sahen darin eine „edle Kunst“.

Die Geschichte gipfelt im Ersten Internationalen Eugenik-Kongress von 1912. Er wurde von der britischen Eugenics Education Society organisiert unter Leitung von Leonard Darwin. 400 Delegierte waren im Hotel Cecil in South Kensington London untergebracht, um die Wissenschaft – und die Ideologie – der besseren Züchtung zu propagieren und zu entwickeln. Zu den herausragenden Teilnehmern zählte Winston Churchill, Erster Lord der britischen Admiralität, Richard Webster, Oberster Richter von England und Wales und Arthur Balfour, sowie die Botschafter aus Norwegen, Griechenland und Frankreich. In seiner Eröffnungsrede erklärte Darwin, dass die Einführung von Prinzipien zu einer Zucht besserer Menschen Mut verlange. Ein globaler Kreuzzug war in Bewegung gekommen und weitere Internationaler Eugenik-Kongressen fand in den Jahren 1921 und 1931 statt.

Wie Adam Rutherford deutlich macht, diese mitreißende utopische Rhetorik implizierte andererseits die dunkleren Implikationen der eugenischen Ideen: Das Schicksal derjenigen, die als „untauglich“ gelten? Was sollte mit ihnen geschehen?

In der zweiten Folge der Serie, wird der Schlachtruf weißer Rassisten auf einer „Unite the Right“ Kundgebung in Charlottesville 2017, „Ihr werdet uns nicht ersetzen“ thematisiert. Sie meinten damit die Vorstellung, dass Einwanderer und Farbige durch die Vielzahl an Kinder, die sie gebaren, die dominante weiße Menschen ersetzen könnten. Eine ähnliche Vorstellung, wie in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts, als Millionen von Einwanderern aus Süd- und Osteuropa auf Ellis Island ankamen, die die amerikanische Kultur erfasste. Die sogenannten „alteingesessenen“ Amerikaner – nicht Ureinwohner, sondern eine weiße Elite, die die Industrie und die Regierung beherrschte – schlossen sich der „Ersatztheorie“ und der eugenischen Idee des „Rassenselbstmords“ an. The Great Gatsby, ein Roman von F. Scott Fitzgerald aus dem Jahr 1922, thematisierte diese Stimmung und führt uns in die Welt der Superreichen, ihrer Parteien und ihrer Politik.

Inmitten dieser fiebrigen Zeit des kulturellen und wirtschaftlichen Wandels wird das Eugenics Record Office (ERO) in Cold Spring Harbor, New York, USA gegründet. Unter der Leitung von Charles Davenport und Harry Laughlin wurde es von der Carnegie Institution of Washington’s Station for Experimental Evolution gegründet und später von deren Abteilung für Genetik verwaltet, und zu einem Hauptquartier für die wissenschaftliche und politische Förderung der Eugenik.

Das Notquotengesetz von 1921 hatte die Einwanderung so wirksam reduziert, dass der Kongress sich beeilte, das Quotensystem dauerhaft einzuführen. 1924 hat die eugenisch geprägte Anti-Immigranten-Bewegung ihren Sieg errungen – Amerika schließt mit dem Einwanderungsgesetz von 1924 (Johnson-Reed-Gesetz) seine Tore, und der Zustrom von Einwanderern wird fast vollständig gestoppt. Um die Einwanderung weiter einzuschränken, führte dieses Gesetz erweiterte Quoten für die „nationale Herkunft“ ein, ein äußerst restriktives und quantitativ diskriminierendes System. Das Quotensystem sollte bis 1965 das wichtigste Mittel zur Bestimmung der Zulässigkeit von Einwanderern in die Vereinigten Staaten bleiben.

Im Folge 3, wird erklärt, wie im Amerika des 20. Jahrhunderts es einen Kampf um die Geburtenkontrolle gab – ein Kampf, wie wir aus den Medien entnehmen, der bis heute andauert. Es wurde zunächst diskutiert, wer daran gehindert werden sollte, Kinder zu bekommen, und wer das entscheiden darf. Bereits im Jahr 1907 verabschiedete Gouverneur J. Frank Hanly das erste staatliche „Eugenikgesetz“, dass die Sterilisation für bestimmte Personen in staatlicher Obhut vorschrieb. Staatliche Einrichtungen erhielten die Befugnis, Menschen zu sterilisieren, die als „degeneriert“ galten – oft gegen ihren Willen. Der Oberste Gerichtshof von Indiana erklärte das Gesetz von 1907 1921 für verfassungswidrig und berief sich dabei auf die Verweigerung eines ordnungsgemäßen Verfahrens gemäß dem vierzehnten Verfassungszusatz. Das Gesetz von 1927 setzte die Sterilisation wieder ein und fügte Berufungsmöglichkeiten hinzu. Soweit bekannt, wurden mindestens 2.500 Menschen in staatlicher Obhut sterilisiert.

Als Gegensatz, wurden im gleichen Zeitraum die Frauen immer gebildeter, selbstbewusster und sexuell befreiter. Junge Männer und Frauen legten die schwerfälligen Umgangsformen und Moralvorstellungen der Generation ihrer Eltern ab und wurden in ihrer Kleidung, ihrem Verhalten und ihrer Einstellung lockerer. Junge Frauen schnitten sich die Haare, kürzten ihre Röcke, tranken Alkohol, rauchten, und schminkten sich. In den Roaring Twenties begannen sowohl junge Frauen (Flappers) als auch junge Männer den Charleston zu tanzen und die Frauen erhalten das Wahlrecht. Es kam zu ungewollten Schwangerschaften, aber Verhütung war immer noch illegal und ein absolutes Tabu. Die Pionierin Margaret Higgins Sanger, auch bekannt als Margaret Sanger Slee, eine amerikanische Aktivistin für Geburtenkontrolle, Sexualpädagogin, Schriftstellerin und Krankenschwester, setzt sich jahrzehntelang dafür ein, dass Frauen Zugang zu Verhütungsmitteln erhalten – nur so können sie ihrer Meinung nach wirklich frei sein. Sie machte den Begriff „Geburtenkontrolle“ populär, eröffnete die erste Klinik für Geburtenkontrolle in den Vereinigten Staaten und gründete Organisationen, aus denen sich die Planned Parenthood Federation of America entwickelte.

Im letzten Teil der Folge erzählt Elaine Riddick, die im Alter von 14 Jahren nach einer gewaltsamen Vergewaltigung schwanger geworden war, wie der Eugenik-Ausschuss des Staates North Carolina beschloss, dass sie keine weiteren Kinder bekommen sollte, und sie sterilisierte ohne ihre Zustimmung. Riddick behauptet, der Grund für die Sterilisation ohne ihr Wissen oder ihre Zustimmung sei gewesen, dass der Staat North Carolina sie als „schwachsinnig“ eingestuft habe, ein entwürdigender Begriff, der in der Eugenik häufig verwendet wird. Vor kurzem erzählte sie ihre bewegende Geschichte in dem von Life Dynamics, Inc. produzierten Dokumentarfilm Maafa21: Black Genocide in 21st Century America.

Die deutsche Hinwendung zum Thema Rassenhygiene oder „Rassenreinigung“ in der Mitte und am Ende des neunzehnten Jahrhunderts spiegelt das internationale Interesse an zwei Ideen wider: Zum einen, die Vervollkommnung der Menschheit und zum zweiten, die Gefahr eines raschen Bevölkerungswachstums in den unteren sozioökonomischen Schichten. Für viele schien die Verbesserung der genetischen Basis einer Nation durch die selektive Züchtung von Menschen mit „idealen“ körperlichen Merkmalen in greifbarer Nähe. Folglich sterilisierte der NS-Staat im Namen der Eugenik Hunderttausende gegen ihren Willen, ermordete behinderte Kinder und startete ein Programm des Völkermords.

Adam Rutherford fragt Warum? Wie er sagt, glauben wir gerne, dass die Gräueltaten der Nazis eine einzigartige Abweichung und ein grotesker historischer Ausreißer waren. Jedoch stellt es sich heraus, dass führende amerikanische Eugeniker und Gesetzgeber wie Madison Grant und Harry Laughlin viele der Naziprogramme inspiriert haben, von der Massensterilisation derjenigen, die als „untauglich“ galten, bis hin zu den Nürnberger Gesetzen, die die Heirat von Juden und Nichtjuden verboten. Vor dem Zweiten Weltkrieg betrachteten viele Eugeniker in aller Welt das Nazi-Regime mit neidischer Bewunderung. Nur, die Nazis gingen weiter und schneller als alle anderen vor ihnen. Aber, letztendlich ist die Geschichte der nationalsozialistischen Eugenik jedoch eine Geschichte internationaler Verbindungen und Kontinuität. Zwei bis drei Jahrzehnte bevor Hitler an die Macht kam, führten amerikanische Eugeniker eine Kampagne zur Schaffung einer weißen, nordischen Herrenrasse, blond und blauäugig.[i]

Deutsche Biologen und Anthropologen begannen früh, sich von der theoretischen Beschäftigung mit dem Thema Rasse zu einem eher praktischen Ansatz in der Rassenhygiene zu bewegen. Eugen Fischer, Fritz Lenz und Erwin Baur schlossen sich zusammen und schrieben 1921 den Grundriss der menschlichen Erblichkeitslehre und Rassenhygiene, ein weit verbreitetes Lehrbuch. In den 20er Jahren wurde ein gewisser Adolf Hitler darauf aufmerksam, und Adolf Hitler studierte die amerikanische Eugenik, die amerikanischen eugenischen Gesetze und die amerikanischen eugenischen Theorien, und er gab offen zu, dass er sie bewunderte. „Flink wie Windhunde, zäh wie Leder, hart wie Kruppstahl. So sollte laut Adolf Hitler jeder deutsche Junge sein. Um die „Reinhaltung des gesunden Volkskörpers“ zu gewährleisten, verabschiedeten die Nationalsozialisten am 14. Juli 1933 das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“. Damit wurde die Grundlage für die Verfolgung, Ausgrenzung und später Ermordung von Menschen mit psychischen Krankheiten geschaffen.“[ii] Das Thema der Zwangssterilisation im Dritten Reich wurde von der MDR bearbeitet. Rund 350.000 bis 400.000 Menschen, die als „erbkrank“ galten wurden während der NS-Zeit zwangssterilisiert. Selbst wer in der Schule schlechte Noten bekam, wurde schnell verdächtigt, ein „Idiot“ zu sein oder an „angeborenem Schwachsinn“ zu leiden.

Hitler nahm seinen bereits vorhandenen, in Deutschland verbreiteten Antisemitismus auf und verpackte diesen Rassismus in die Idee der Eugenik, um seine Theorien wissenschaftlich und medizinisch zu rechtfertigen, und tauschte dann das Wort „nordische Rasse“ gegen „arische Rasse“ aus, um das Streben der Nazis nach der Herrenrasse zu rechtfertigen. Ich brauche niemand in Deutschland über die weiteren Konsequenzen berichten.

In Folge 5 spricht Adam Rutherford über die Verquickung von Wissenschaft und Eugenik. Ein Hauptziel der Eugenik im 20. Jahrhundert war die Beseitigung genetischer Defekte in einer Bevölkerung. Wie bereits erwähnt, verfolgten viele Länder dieses Ziel mit staatlich gelenkten Programmen zur unfreiwilligen Sterilisation und sogar zur Ermordung. Rutherford befasst sich mit der Wissenschaft, die hinter dieser dunklen Geschichte steht, aber nimmt auch die Möglichkeiten und Herausforderungen, die die Wissenschaft heute bietet, in Betracht.

In der Mitte des 19. Jahrhunderts gelang Gregor Johann Mendel OSA, österreichischer Biologe, Meteorologe, Mathematiker, Augustinermönch und Abt der Abtei St. Thomas in Brünn, Markgrafschaft Mähren ein Durchbruch. Abt Cyril Napp hatte 1854 ihn erlaubt, im Kloster ein umfangreiches Versuchsprogramm zur Hybridisierung zu planen. Mendel entschied sich für seine Studien mit der Erbse (Pisum sativum), weil es zahlreiche unterschiedliche Sorten gab, die sich leicht kultivieren und die Bestäubung kontrollieren ließen, und weil der Anteil der erfolgreich gekeimten Samen hoch war. Durch die Züchtung von Erbsenpflanzen und die Beobachtung, wie bestimmte Merkmale weitergegeben wurden, erkannte Mendel, dass es Einheiten – kleine Informationspakete – geben musste, die die Merkmale bestimmten. Er hatte quasi das Gen entdeckt.

Natürlich inspirierten seine Erkenntnisse die Eugeniker, und vor allem ab den 1900er Jahren wurde spekuliert, dass, wenn Merkmale durch bestimmte Gene vererbt werden, ihre Politik Menschen mit „schlechten“ Genen davon abhalten sollte, Kinder zu bekommen. Heute spricht man von „guten Genen“, und Mendels Ideen werden immer noch in Klassenzimmern verwendet, um über Merkmale wie die Augenfarbe zu unterrichten. Die Eugeniker glaubten jedoch, dass sich Mendels einfache Erklärungen auf alles anwenden ließen, von der so genannten „Schwachsinnigkeit“ über Kriminalität bis hin zur Armut.

Adam Rutherford weist daraufhin, dass wir auch heute davon das Wissen anwenden, dass bestimmte genetische Bedingungen auf mendelsche Weise weitergegeben werden. Die Achondroplasie, die zu Kleinwuchs führt, ist ein Beispiel dafür und wird durch eine einzige genetische Variante verursacht. Adam Rutherford sprach mit Professor Tom Shakespeare, der an Achondroplasie leidet und einen Rollstuhl benutzt, über diese Krankheit, über seine eigene Entscheidung, Kinder zu bekommen, obwohl er wusste, dass die Krankheit vererbbar ist – und über die Reaktion der medizinischen Fachwelt. Er hat zwei Kinder, die beide ebenfalls an Achondroplasie leiden; seine Tochter Ivy ist Sozialarbeiterin, und sein Sohn Robert ist Beamter.

Rutherford geht auch der Frage nach, wie Genetik heute in den Schulen gelehrt wird – und wie gefährlich es ist, sich auf Mendels verlockend einfache, aber irreführende Darstellung zu verlassen,

In der letzten Folge der Serie stellt Adam Rutherford jedoch die Frage, ob wir heute am Beginn eines „Neogenik“-Zeitalters stehen, in dem Spitzentechnologien und die Macht der persönlichen Entscheidung die Art von genetischer Perfektion erreichen könnten, die Eugeniker im 20. Jahrhunderts anstrebten. Er spricht über den Fall aus dem Jahr 2018, als ein chinesischer Wissenschaftler illegal versuchte, das Genom zweier Embryonen präzise zu verändern, was nicht wie beabsichtigt funktionierte und Gefahren für die danach geborenen Zwillingsmädchen mit sich brachte. Später wurden Lulu und Nana versteckt und ihr Gesundheitszustand ist geheimnisumwittert. Im Grunde waren sie die ersten Designer-Babys, und Rutherford spekulierte, ob es möglich sei, dass solche Experimente weiterhin im Geheimen durchgeführt würden.

Aber auch andere technologische Entwicklungen sind bekannt geworden, die die Fortpflanzung verändern könnte: Bei der In-Vitro-Fertilisation (IVF), eine komplexe Reihe von Verfahren zur Unterstützung der Fruchtbarkeit oder zur Vorbeugung genetischer Probleme und zur Unterstützung der Empfängnis eines Kindes, können mehrere lebensfähige Embryonen erzeugt werden, und ein polygenes Screening könnte dazu dienen, zwischen ihnen zu wählen.

Aber, wie Rutherford feststellt, das zunehmende Verständnis und die Kontrolle über unsere Genetik wird verständlicherweise von einigen als Bedrohung angesehen – als eine unvermeidliche Kraft zur Spaltung der Gesellschaft. Doch anstatt zuzulassen, dass die Genetik die Menschen trennt und in eine Rangordnung bringt, gibt es vielleicht eine Möglichkeit, sie aktiv zu nutzen, um die Gleichheit zu fördern. Professorin Paige Harden, der die Auffassung vertritt, dass die genetische Forschung über individuelle Unterschiede zwischen Menschen mit fortschrittlichen und egalitären sozialen Zielen vereinbar ist, stellt ihren Vorschlag für eine anti-eugenische Politik vor, die sich die genetischen Informationen zunutze macht.

Die Serie ist gut gemacht und das Buch zur Serie kann hier gekauft werden:


[i] https://alschner-klartext.de/2022/09/01/ein-lieblingsprojekt-der-amerikanischen-eugenik-bewegung-war-deutschland/

[ii] https://www.mdr.de/geschichte/ns-zeit/politik-gesellschaft/zwangssterilisation-euthanasie-gesetz-zur-verhuetung-erbkranken-nachwuchses-100.html