Für wen arbeiten Politiker?
Es ist schon merkwürdig, wenn man heute Fernsehen schaut, vor allem Nachrichten und Reportagen, die uns über die Probleme informieren, mit denen wir konfrontiert sind. Das eine ist die Einseitigkeit, die in den öffentlich-rechtlichen Medien und in den „alternativen Medien“ zu beobachten ist, das andere ist die Tatsache, dass die Medien Bilder von extremer Armut neben Bildern von Dekadenz zeigen können und das Publikum diesen Widerspruch zu ertragen scheint.
Dieses Nebeneinander von Extremen – Armut und Dekadenz – wirkt fast surreal. Ein Kind, das in Müllhaufen wühlt, könnte den Bildschirm mit einem Influencer teilen, der in einem Herrenhaus Designerkleidung zur Schau stellt. Das Absurde daran ist, dass diese Bilder oft Gleichgültigkeit oder sogar Belustigung hervorrufen, anstatt Empörung oder Handeln auszulösen. Wie sind wir an einem Punkt angelangt, an dem solche Widersprüche zur Normalität geworden sind, an dem Leid und Luxus auf derselben Leinwand koexistieren können, ohne kollektives moralisches Unbehagen auszulösen?
Vielleicht ist es die mediale Übersättigung. Die ständige Konfrontation desensibilisiert uns und schwächt unsere Empathie. Oder vielleicht liegt es an der Art und Weise, wie diese Geschichten erzählt werden: Das Leiden der anderen wird als fern, „weltfern“ dargestellt, Dekadenz dagegen als erstrebenswert, als ein Leben, das man beneiden oder anstreben kann. Diese Dichotomie ist nicht nur ein Merkmal der Medien – sie spiegelt die wachsende Kluft in der Gesellschaft selbst wider, zwischen denen, die zu viel haben, und denen, die überhaupt nichts haben.
Aber es gibt einen tieferen „Elefanten im Raum“. Die Medien leben von der Ungleichheit, die sie darstellen. Armut verkauft sich in der Wohltätigkeitswerbung, Dekadenz in der Luxuswerbung und so weiter. Wir, das Publikum, sind mitschuldig, sowohl als Konsumenten dieser Erzählungen als auch als Mitwirkende an ihrer Aufrechterhaltung. Schalten wir angewidert den Fernseher aus oder scrollen wir vorbei, abgelenkt durch den nächsten Dopaminschub?
Um diesem Paradox zu begegnen, müssen wir es zunächst anerkennen – nicht nur als Zuschauer, sondern als Individuen, die in den Systemen leben, die diese Ungleichheiten schaffen und aufrechterhalten. Was wäre nötig, damit wir den Elefanten im Raum wirklich sehen und nicht nur daran vorbeigehen? Und vor allem: Was sind wir bereit zu tun, wenn wir ihn sehen?
Wo die Last getragen wird
Interessant ist, dass die Gewinne der Unternehmen und die Ausschüttungen an die Aktionäre diskret getrennt werden. Die Probleme der Welt haben damit nichts zu tun, aber die Aufforderung, etwas dagegen zu tun, liegt der Öffentlichkeit zu Füßen. Dies ist umso erstaunlicher, wenn man bedenkt, wie viel Arbeit ein Durchschnittsverdiener leisten müsste, um zu Lösungen beizutragen, im Vergleich zu den oberen zehn Prozent der Gesellschaft, deren Reichtum oft ohne Anstrengung wächst.
Diese Entkoppelung von Unternehmensgewinnen und sozialer Verantwortung ist eine Meisterleistung des modernen Kapitalismus. Unternehmen melden Rekordgewinne und Aktionäre profitieren davon, während das Narrativ die Last der Lösung globaler Krisen auf die Schultern der einfachen Menschen abwälzt. Klimawandel? CO2-Fußabdruck reduzieren. Hunger? Spende an die Tafeln. Obdachlosigkeit? Freiwillige Arbeit leisten. Die Einheiten, die die größte Macht haben, systemische Veränderungen herbeizuführen, sind bei diesen Handlungsaufforderungen oft auffallend abwesend.
Noch erstaunlicher ist der unverhältnismäßig hohe Aufwand. Für den Durchschnittsverdiener kann ein sinnvoller Beitrag zu einem gesellschaftlichen Problem ein erhebliches Opfer bedeuten – Arbeitsstunden, sorgfältige Budgetierung oder Verzicht auf persönliche Annehmlichkeiten. Im Gegensatz dazu wächst das Vermögen der reichsten Privatpersonen und Unternehmen oft passiv durch Investitionen oder finanzielle Manöver, weitgehend isoliert von den Schwierigkeiten des täglichen Lebens. Für sie hätte das Einbringen auch nur eines Bruchteils ihres Vermögens eine transformative Wirkung, aber ihr Engagement wird oft als optional oder sogar philanthropisch dargestellt und nicht als obligatorisch.
Diese Ungleichheit spiegelt nicht nur eine Konzentration von Reichtum, sondern auch von Einfluss wider. Unternehmen und Superreiche gestalten die Politik, bestimmen die Agenda, finanzieren Kampagnen und sorgen so oft dafür, dass die Systeme zu ihren Gunsten ausgerichtet bleiben. Wenn die reichsten 10 Prozent den Löwenanteil der Ressourcen kontrollieren, spricht ihre Handlungsfähigkeit – oder -unfähigkeit – Bände. Dennoch werden sie im öffentlichen Diskurs selten zur Rechenschaft gezogen. Stattdessen werden symbolische Gesten zelebriert: Ein Milliardär, der einen Bruchteil seines Vermögens für wohltätige Zwecke spendet, wird gelobt, während seine Unternehmen weiterhin Praktiken anwenden, die genau die Probleme verschärfen, die sie mit ihren Spenden angeblich lösen wollen.
Das Ergebnis ist eine geschickt inszenierte Illusion: die Vorstellung, dass die Öffentlichkeit allein durch individuelles Handeln systemische Probleme lösen kann. Aber ohne die strukturellen Ungleichheiten anzugehen, die diese Probleme aufrechterhalten, sind solche Bemühungen wie der Versuch, einen Ozean mit einem Teelöffel auszuschöpfen. Die eigentliche Frage lautet: Wie können wir die Erzählung – und die Verantwortung – wieder in die Hände derjenigen legen, die die größte Macht haben, Veränderungen herbeizuführen?
Wen repräsentieren Politiker?
Der deutsche Politiker Helmut Schmidt, Bundeskanzler von 1974 bis 1982, sagte einmal: „Demokratie lebt vom Kompromiss. Wer keine Kompromisse schließen kann, hart in der Demokratie nichts zu suchen.“ Dies wird oft der Öffentlichkeit vorgeworfen, von der erwartet wird, dass sie faule Kompromisse akzeptiert, die den Politikern das Leben leichter machen.
Natürlich trifft Helmut Schmidts Aussage „Demokratie lebt vom Kompromiss“ eine wesentliche Wahrheit: Der demokratische Prozess erfordert den Ausgleich unterschiedlicher Perspektiven und Interessen, um effektiv regieren zu können. Die Kompromisse, die heute von der Öffentlichkeit erwartet werden, sind jedoch oft einseitig und dienen eher dazu, abweichende Meinungen zu beschwichtigen und politische Manöver zu ermöglichen, als gerechte Lösungen zu finden.
Ein Beispiel ist die Kompromisse, die die Bürger als Reaktion auf systemische Probleme eingehen müssen. In Zeiten der Wirtschaftskrise wird von den Bürgern verlangt, den Gürtel enger zu schnallen, während Subventionen für Unternehmen ungehindert fließen. Im Kampf gegen den Klimawandel werden die Menschen dazu angehalten, weniger zu recyceln und weniger Auto zu fahren, während die Regierungen zögern, den Industrien, die für den Großteil der Emissionen verantwortlich sind, strengere Vorschriften aufzuerlegen. Diese „Kompromisse“ stellen eine unverhältnismäßige Belastung für die Öffentlichkeit dar und schützen gleichzeitig die Regierenden davor, schwierige, aber notwendige Entscheidungen zu treffen.
Diese Dynamik offenbart ein beunruhigendes Paradox: Kompromisse sollten in ihrer wahren Form gegenseitige Zugeständnisse widerspiegeln, die dem Gemeinwohl dienen. Faule Kompromisse aber – Kompromisse, die Zweckmäßigkeit über Fairness stellen – untergraben das Vertrauen in demokratische Institutionen. Wenn Politiker Halbheiten oder verwässerte Politiken als das bestmögliche Ergebnis präsentieren, verraten sie den Geist des Kompromisses, indem sie es versäumen, auf echten Fortschritt zu drängen. Solche Maßnahmen können zwar kurzfristig den Weg zum Regieren ebnen, aber mit der Zeit untergraben sie die Grundlagen der Demokratie und hinterlassen bei den Bürgern Desillusionierung und Desinteresse.
Vielleicht liegt das tiefere Problem in der Art und Weise, wie Kompromisse formuliert werden. Echte Kompromisse erfordern die Bereitschaft, die Ursachen anzugehen, Interessenkonflikte auszutragen und langfristige Lösungen in den Vordergrund zu stellen. Allzu oft suchen Politiker jedoch nach oberflächlichen Lösungen, die Kontroversen vermeiden und systemische Probleme schwelen lassen. Die Öffentlichkeit fühlt sich dadurch übergangen, ihre Opfer bringen wenig Veränderung, während die politischen Führer den Sieg für sich beanspruchen, weil sie einfach „etwas getan“ haben.
Damit die Demokratie gedeihen kann, so Schmidt, braucht es Kompromisse, die nicht nur sinnvoll, sondern auch gerecht sind. Das bedeutet, die Last des Kompromisses von den Bürgern zu nehmen und von den politischen Verantwortlichen zu verlangen, dass sie sich den Herausforderungen stellen, für die sie gewählt worden sind – und zwar nicht, indem sie Konflikten aus dem Weg gehen, sondern indem sie sich ihnen stellen, wenn sie notwendig sind. Nur dann kann der Kompromiss wieder den ihm gebührenden Platz als Eckpfeiler der Demokratie einnehmen und nicht länger als bequeme Ausrede für Untätigkeit dienen.
Wertewandel
Wir beobachten einen Wertewandel, und einige Beobachter der US-Wahlen haben gesagt, Trump sei gewählt worden, um „etwas zu bewegen“ und das „Murmeltier“-Gefühl zu durchbrechen, das die Wählerinnen und Wähler nach den Wahlen hatten, als sich für sie nichts änderte. Man kann darüber streiten, ob das wirklich das ist, was sie bekommen werden, und ob sie mehr aufgegeben haben, als sie erwartet hatten, aber wenn man sich den Verlauf der Wahlen in der westlichen Welt ansieht, scheint das die Einstellung vieler Wähler zu sein.
Diese Sehnsucht nach Störungen, die sich in der Wahl von Donald Trump und ähnlichen politischen Bewegungen in der westlichen Welt zeigt, spiegelt eine tiefe Unzufriedenheit mit dem Status quo wider. Die Wähler fühlen sich in einem immer wiederkehrenden Kreislauf gefangen – eine Wahl nach der anderen verspricht Veränderung, bringt aber immer wieder das Gleiche. Dieses „Murmeltier-Phänomen“ hat dazu geführt, dass viele Menschen glauben, die traditionelle Politik sei nicht in der Lage, auf ihre Anliegen einzugehen.
Die Wahl von Donald Trump, die von einigen als Aufstand gegen die politische Trägheit dargestellt wurde, war für viele, die sich von den etablierten Parteien ignoriert fühlten, eine Herausforderung. Er wurde nicht wegen seines Festhaltens an Konventionen gewählt, sondern wegen seiner angeblichen Fähigkeit, diese zu brechen. Das Gleiche gilt für den Aufstieg von populistischen und Außenseiterkandidaten in anderen Ländern, wo die Wählerschaft zunehmend bereit scheint, unkonventionelle Führer zu akzeptieren, die versprechen, das System ungeachtet der Risiken zu verändern.
Dieser Wandel wirft jedoch eine entscheidende Frage auf: Was passiert, wenn die Veränderung um ihrer selbst willen an die Stelle des Nachdenkens tritt? In ihrer Verzweiflung, der politischen Monotonie zu entkommen, übersehen die Wähler oft die Kosten radikaler Veränderungen. Die Systeme, die sie zu reformieren hoffen, könnten weiter untergraben werden, und die Machtdynamik, die sie ablehnen, könnte sich weiter verfestigen. Ironischerweise sehen sich diejenigen, die den „Sumpf trockenlegen“ wollen, oft mit neuen Sümpfen anderer Art konfrontiert, da übereilte Entscheidungen und unkontrollierte Macht die Institutionen schwächer machen als zuvor.
Dieser Trend ist nicht auf die USA beschränkt. In ganz Europa und darüber hinaus beobachten wir, dass sich die Wähler von Führern und Bewegungen angezogen fühlen, die die traditionelle Links-Rechts-Spaltung zugunsten emotionaler Appelle und umfassender Versprechen ablehnen. Dies deutet auf einen tieferen kulturellen Wandel hin: eine Desillusionierung gegenüber dem Pragmatismus und ein Verlangen nach sofortigen Ergebnissen.
Die Gefahr liegt nicht im Wunsch nach Veränderung – das ist schließlich das Wesen der Demokratie -, sondern in der Unklarheit darüber, wie diese Veränderung aussehen soll. Um den Teufelskreis der „Murmeltierpolitik“ zu durchbrechen, bedarf es mehr als der Wahl von Störern; es bedarf einer Neuinterpretation der Art und Weise, wie Politik der Öffentlichkeit dient. Die Wähler müssen hinter das Spektakel blicken und harte Fragen über Politik, Verantwortlichkeit und langfristige Auswirkungen stellen.
Während der Westen diese Ära des Wertewandels durchläuft, ist eines klar: Die Geduld der Wähler für leere Versprechungen ist erschöpft. Ob dies zu sinnvollem Fortschritt oder zu weiterem Chaos führt, hängt davon ab, ob Wähler und Politiker gleichermaßen in der Lage sind, den Hunger nach Veränderung mit der Weisheit auszugleichen, an ihrer Stelle etwas Besseres aufzubauen.