Nachthimmel

Die silberne Kugel am Nachthimmel, die unseren Horizont überquert, wie ein Daimon des Planeten Erde, der unsere Wellen bewegt und verschiebt. Wenn wir schlafen und manchmal träumen, wie bewegt er unsere Seele? Wachsen und schwinden wir und wachsen wir, während wir uns in unserer Unruhe drehen?

Und sind wir wach, wenn das Sonnenlicht kommt? Sehen wir, wie sich die Schöpfung ausbreitet? Spüren wir die Wellen der Gefühle, die Sehnsüchte und Vorstellungen des Herzens? Oder zucken wir nur mit den Schultern und schieben sie verächtlich beiseite und erfreuen uns stattdessen an den vielfältigen Geschmäckern und der Füllung unserer Mägen?

Sättigung und Stimulation vonTeller, Tassen und Gläser treten an die Stelle des Gefühls, das aufsteigt, wenn der Daimon vorübergeht. Selten nehmen wir uns die Zeit, das kosmische Spektakel unserer Bewegung um unseren Stern zu betrachten und uns zu fragen, ob wir wirklich wissen, wo genau wir sind.

Rationalität und Absicht verblassen, wenn wir unsere kreisende Bewegung wahrnehmen und sie wie die Wellen auf dem Meer spüren, die unsere Emotionen aufwirbeln. Alle sichtbaren und unbekannten Ursachen, die uns zum Ausdruck bringen, erinnern uns daran, dass unsere Existenz einem Geheimnis entspringt.

Unser Bewusstsein des Augenblicks, das nur selten unsere Automatisierung durchbricht, explodiert in der Erkenntnis, verblasst aber so schnell wie die Kugel, die den Himmel schmückt und uns auf unserer Reise begleitet. Sie leuchtet so hell, aber sie verblasst und verschwindet aus unserem Blickfeld und unserem Sinn.

Rob

Autoritarismus und Moral

Der Aufstieg der Tyrannei in der Politik und in den zivilen Beziehungen

https://de.wikipedia.org/wiki/Autoritarismus

Im Allgemeinen besteht kein eindeutiger Konsens darüber, ob der Autoritarismus in der westlichen Gesellschaft in den letzten Jahren zugenommen hat, obwohl es Anzeichen dafür gibt, dass der Autoritarismus in einigen Ländern zugenommen hat, während er in anderen stabil geblieben oder sogar demokratischer geworden ist. Beispiele für Länder, in denen der Autoritarismus deutlich zurückgegangen ist, sind Spanien und Portugal nach dem Sturz der faschistischen Regime in den 1970er Jahren. Im Allgemeinen waren viele Menschen nach dem Ende des Kalten Krieges optimistisch, und die Zukunft hätte rosig ausgesehen, wäre da nicht der drohende Verdacht des Klimawandels gewesen.

Ein Indikator für den Anstieg des Autoritarismus, der uns heute Sorgen bereitet, ist jedoch die wachsende Zahl populistischer Bewegungen und Führer in vielen westlichen Ländern. Diese Bewegungen appellieren oft an die Emotionen und Ängste der Öffentlichkeit und versuchen, die Macht in den Händen eines einzelnen Führers oder einer Gruppe zu zentralisieren. Beispiele dafür sind natürlich der Aufstieg rechtsextremer Parteien in Europa, wie der Alternative für Deutschland (AfD) und des Front National in Frankreich, aber auch innerparteiliche Verschiebungen, wie eine zunehmende Intoleranz gegenüber Ausländern, die vor allem in Oppositionsparteien auftritt, die bei rechtsextremen Wählern wildern, aber auch in Parteien, die mit großen Mehrheiten regieren und sich in strengen Gesetzen ausdrücken, sind ein Indikator.

Ein weiterer Indikator ist die Aushöhlung demokratischer Institutionen und Normen wie der Rechtsstaatlichkeit, der Pressefreiheit und einer unabhängigen Justiz. Die Kritik am Journalismus oder sogar an Richtern als „Volksfeinde“ wurde beispielsweise in Großbritannien von politischen Interessen geleitet, und in einigen Ländern waren die Versuche, diese Freiheiten einzuschränken, die zu einer Aushöhlung der demokratischen Staatsführung führen könnten, zumindest teilweise erfolgreich. Auch die Reaktionen auf Proteste sind je nach den protestierenden Gruppen unterschiedlich ausgefallen. Das NATO-Bündnis setzt sich aus sehr unterschiedlichen Haltungen zur Demokratie zusammen. Besorgniserregend ist auch, dass allen Berichten zufolge Lügen in der Öffentlichkeit der westlichen Länder alltäglich geworden sind, was das Vertrauen in die Institutionen untergräbt. Insgesamt ist der Trend zum Autoritarismus ein komplexes und vielschichtiges Phänomen, das je nach Kontext und Land variiert.

Ich neige dazu, die Akzeptanz dieser Entwicklung mit Anzeichen von Autoritarismus in zivilen Beziehungen in Verbindung zu bringen, wo er sich als kontrollierendes, unterdrückendes und dominierendes Verhalten eines Partners gegenüber dem anderen manifestieren kann. Anzeichen für Unterdrückung in einer Beziehung können sein:

  1. Kontrolle: Ein Partner versucht, das Verhalten, die Handlungen und die Entscheidungen des anderen Partners zu kontrollieren, wobei er oft Angst, Einschüchterung oder Manipulation einsetzt, um diese Kontrolle zu erreichen.
  2. Ungleichgewicht der Macht: Ein Partner hat die meiste Macht in der Beziehung und trifft die meisten Entscheidungen, ohne den anderen Partner zu Wort kommen zu lassen oder zu berücksichtigen.
  3. Mangelnder Respekt: Ein Partner nimmt wenig oder gar keine Rücksicht auf die Gefühle, Meinungen oder Grenzen des anderen Partners.
  4. Ungleichheit: Ein Partner wird dem anderen gegenüber als minderwertig oder unterwürfig behandelt, und es wird von ihm erwartet, dass er den Wünschen und Bedürfnissen des anderen ohne Fragen nachkommt.

Mary Harrington, eine der interessantesten Schriftstellerinnen, die heute publizieren, Kolumnistin bei UnHerd und häufige Kommentatorin an anderer Stelle, beklagt in ihrem Buch „Feminismus gegen den Fortschritt[i], dass es an der Einsicht fehlt, dass das menschliche Leben in einem bestimmten Körper und in Beziehungen stattfindet. Sie sagt, dass eine Beziehung besser ist, wenn sie interaktiv ist, wenn die Rollen aufgewertet werden und die Stärken der Beteiligten genutzt werden, anstatt sich auf ihre Schwächen zu konzentrieren. Mary schreibt über ihre eigene Entwicklung: „In der Schule wurde mir gesagt, dass ich etwas über einen stabilen Bereich der kanonischen menschlichen Kultur lerne, der über die Jahrhunderte hinweg aufgebaut wurde.“ Doch als ich an die Universität kam, „wurde mir gesagt, dass diese dazu dienen, verdeckte Hierarchien von Klasse, Geschlecht, Rasse usw. zu festigen. Wie all dies mit der materiellen Welt, dem Druck des Überlebens oder den Anforderungen des physischen Lebens zusammenhängen sollte, war weniger klar.“  Ich habe einen ähnlichen Eindruck, auch wenn ich nie eine Hochschulausbildung absolviert habe, aber die Vorstellung, dass wir alle in irgendeiner Weise Opfer von unterdrückerischen Hierarchien sind, scheint sich in der Gesellschaft auf eine undurchschaubare Weise verbreitet zu haben, aber so, dass sie auch unsere intimen Beziehungen betrifft.

Es gibt natürlich viele Faktoren, die zu kontrollierendem, unterdrückendem und herrschsüchtigem Verhalten des einen Partners gegenüber dem anderen in einer Beziehung beitragen können. Ich habe viele Menschen getroffen, sowohl Männer als auch Frauen, die sich unsicher fühlen oder ein geringes Selbstwertgefühl haben, was dazu führen kann, dass sie versuchen, ihren Partner zu kontrollieren, um sich mächtiger und sicherer zu fühlen oder so zu erscheinen. Natürlich tun Männer und Frauen dies auf unterschiedliche Weise, aber der Effekt ist derselbe und oft kontraproduktiv, weil es sich falsch anfühlt und eine Angst vor dem Verlassenwerden entstehen kann, die dazu führt, dass solche unsicheren Menschen ihren Partner noch mehr kontrollieren, um zu verhindern, dass er oder sie sie verlässt oder zurückweist. Es war traurig zu sehen, wie weibliche Kollegen Angst davor hatten, dass ihre Männer bemerken könnten, wie glücklich sie in ihrem Arbeitsumfeld sind – vor allem bei solche, die mich baten, nicht neben ihnen zu stehen, wenn ihre Männer sie abholten.

Es gibt auch viele Menschen, die ein Kindheitstrauma erlitten haben, z. B. Missbrauch oder Vernachlässigung, was ebenfalls dazu beitragen kann, dass sie kontrollierende und dominierende Verhaltensweisen entwickeln, um mit ihren früheren Erfahrungen fertig zu werden. Es ist schon ironisch, dass manche Menschen, die in einem solchen Umfeld aufgewachsen sind, diese Verhaltensweisen in ihren eigenen Beziehungen weiterhin an den Tag legen. Ihr Mangel an Empathie scheint ein Schutz gegen Depressionen und andere Reaktionen auf ihre Vergangenheit zu sein. Leider gibt es auch Menschen mit Persönlichkeitsstörungen, wie der narzisstischen Persönlichkeitsstörung, die zu kontrollierendem und dominierendem Verhalten in Beziehungen beitragen können. Und natürlich dürfen wir den Drogenmissbrauch – ob Alkohol oder Drogen – nicht außer Acht lassen, der ebenfalls zu kontrollierendem und dominierendem Verhalten beitragen kann, da er das Urteilsvermögen beeinträchtigt und die zugrunde liegenden emotionalen Probleme verschlimmern kann.

Es gibt jedoch Anhaltspunkte dafür, dass die Empathie in der westlichen Gesellschaft in den letzten Jahren generell abgenommen hat. Da Empathie die Fähigkeit ist, die Gefühle anderer zu verstehen und zu teilen, ist sie ein wesentlicher Bestandteil gesunder Beziehungen und sozialer Interaktion. Zu den weiteren, vielleicht übersehenen Indikatoren für einen Rückgang der Empathie in der westlichen Gesellschaft gehören der Rückgang der ehrenamtlichen Arbeit und des Engagements in der Gemeinschaft, die zunehmende politische Polarisierung und der Zusammenbruch des zivilen Diskurses, der es dem Einzelnen erschweren kann, sich in Menschen einzufühlen, die andere Ansichten vertreten. Auch unser Wandel hin zu einer individualistischeren Kultur war nicht hilfreich, was in viele Menschen zu einem Rückgang der Empathie und einer ausschließlichen Konzentration auf die eigenen Bedürfnisse und Wünsche geführt hat.

Moral als einigende Einfluss

Moral ist ein wenig in der Kritik geraten. Zum Beispiel gibt es Diskussionen darüber, ob es überhaupt eine universelle Moral gibt oder ob Moralität relativ ist und von kulturellen, historischen oder individuellen Faktoren abhängt. Es gibt auch Debatten darüber, ob moralische Ansprüche gerechtfertigt sind und wie sie begründet werden können. Einige Kritiker argumentieren auch, dass Moral oft als Werkzeug der Macht und Kontrolle verwendet wird, um bestimmte Verhaltensweisen zu fördern oder zu unterdrücken. Dies kann dazu führen, dass Moral als manipulativ und unterdrückerisch wahrgenommen wird, also was ist Moral?

Moral ist ein System von Grundsätzen, Werten und Überzeugungen darüber, was richtig und falsch, gut und schlecht, gerecht und ungerecht ist. Sie hilft, unser Verhalten und unsere Entscheidungen zu steuern, und spielt eine wichtige Rolle bei der Gestaltung unserer individuellen und kollektiven Identität. Kurz gesagt, unsere Moral oder Ethik sagt den Menschen, woher wir kommen oder zu welcher Gruppe wir gehören, die wir an ihrem Verhalten und nicht an ihrer Erscheinung oder gar Genetik erkennen. Dies bedeutet, dass Moral subjektiv und kulturell relativ ist, was bedeutet, dass verschiedene Individuen und Kulturen unterschiedliche Moralsysteme haben können und moralische Urteile komplex sein können und das Abwägen konkurrierender Werte und Überlegungen beinhalten.

Moral ist andererseits wichtig, weil sie erstens zur Förderung des sozialen Zusammenhalts und der Zusammenarbeit beiträgt, indem sie eine Reihe gemeinsamer Normen und Erwartungen bereitstellt, die darauf abzielen, Schaden für den Einzelnen und die Gesellschaft zu verhindern, indem sie zu angemessenem, verantwortungsvollem Verhalten ermutigen. Darüber hinaus kann Moral zu einem Gefühl der persönlichen Erfüllung und Bedeutung beitragen, indem sie dem Einzelnen hilft, nach vereinbarten Werten und Grundsätzen zu leben. Sie kann den Einzelnen auch dazu inspirieren, sich für eine bessere Welt einzusetzen, indem sie Gerechtigkeit, Gleichheit und Mitgefühl in Übereinstimmung mit diesen ursprünglichen Prinzipien fördert.

Welche Moral halten wir also für unsere Existenz als fühlende Wesen für angemessen? Kann der Autoritarismus überhaupt dazu gehören? Zugegeben, Autoritarismus, definiert als eine Regierungsform, die von einem starken und zentralisierten Führungsstil geprägt ist, kann eine bestimmte Moral oder Ethik vorschreiben oder durchsetzen. In diesem Sinne können autoritäre Regime eine moralische Agenda verfolgen, die bestimmte Verhaltensweisen und Werte unterstützt oder ablehnt, je nach den Zielen des Regimes.

Andererseits wissen wir aus Erfahrung, dass der Autoritarismus oft zur Unterdrückung der individuellen Freiheiten und Rechte führt, was moralische Bedenken aufwirft. In vielen Situationen haben wir den Autoritarismus als unmoralisch oder unethisch empfunden, weil er die Freiheit und die Rechte des Einzelnen einschränkt und die Möglichkeit zu moralischen Entscheidungen begrenzt. Die Wahrnehmung in Europa und Amerika während der Pandemie war, dass die verordneten Maßnahmen autoritär waren, aber als über die in China durchgeführten Maßnahmen berichtet wurde, sahen wir eine ganz andere Qualität, und wir erlebten Autoritarismus in Aktion.

Für mich ist der Moral die Chance, sich über Grundsätzen, Werten und Überzeugungen darüber, was richtig und falsch, gut und schlecht, gerecht und ungerecht ist, zu einigen, und der Zusammenhalt einer Gesellschaft zu fördern, um stärker in der Lage zu sein, die große Probleme, die auf uns zukommen, zu beherrschen. Jedoch, müssen wir die Autoritarismus verhindern, Fuß zu fassen, und es fängt in unsere zivilen Beziehungen an. In Ehen, Familien, Nachbarschaften, aber auch in politische Parteien, müssen wir die Grundlage für eine interaktive, kooperative, und stabile Gesellschaft legen, in der es keinen Platz gibt für die Unterdrückung der individuellen Freiheiten und Rechte.

Also wird Moral ein wichtiger Gegenstand der Diskussion und Reflexion bleiben, auch wenn ihre Bedeutung und Rolle in verschiedenen Bereichen und Kontexten wird weiterhin diskutiert und hinterfragt.


[i] Harrington, Mary. Feminism Against Progress (p. 12). Swift Press. Kindle Edition.

Die Chimäre des Krieges

Und die Sehnsucht nach Frieden

Unter einem weiten, grauen Himmel, auf einer weiten, staubigen, graslosen Ebene,
auf der nicht einmal eine Brennnessel oder eine Distel zu sehen war,
begegnete ich mehreren Männern, die gebeugt auf dem Boden gingen.
Jeder von ihnen trug auf seinem Rücken eine riesige Chimäre[i],
so schwer wie ein Sack Mehl oder Kohle oder wie die Ausrüstung eines römischen Fußsoldaten.
Aber das monströse Tier war kein totes Gewicht,
sondern umhüllte und bedrückte die Männer mit ihren kräftigen und elastischen Muskeln
und krallte sich mit ihren beiden riesigen Krallen in die Brust ihres Reittiers.
Ihr fabelhafter Kopf ruhte auf der Stirn des Mannes
wie eine jener schrecklichen Kaskaden,
mit denen antike Krieger den Schrecken des Feindes zu verstärken hofften.
Ich befragte einen der Männer, warum sie so gingen.
Er antwortete, dass er nichts wisse, weder er noch die anderen,
aber dass sie offensichtlich irgendwohin gingen,
da sie von einem unbezwingbaren Drang zum Gehen getrieben wurden.
Seltsamerweise schien sich keiner der Wanderer an dem wilden Tier zu stören,
das an seinem Hals hing und sich an seinem Rücken festkrallte:
Einer hatte gesagt, dass er es als einen Teil von sich selbst betrachtete.
Diese ernsten und müden Gesichter zeugten nicht von Verzweiflung.
Unter der strahlenden Kuppel des Himmels stapften sie mit ihren Füßen durch den Staub einer Erde, die so trostlos war wie der Himmel,
und gingen mit den resignierten Gesichtern von Menschen weiter, die dazu verurteilt waren,
 für immer zu hoffen.
So zog der Zug an mir vorbei und verschwand in der Atmosphäre des Horizonts an der Stelle,
an der sich der Planet der Neugierde des menschlichen Auges offenbart.
Mehrere Augenblicke lang bemühte ich mich hartnäckig,
dieses Mysterium zu begreifen;
 aber die unwiderstehliche Gleichgültigkeit stürzte sich bald auf mich,
und ich wurde dadurch noch schwerer niedergeschlagen
als sie durch ihre erdrückenden Chimären.

Aus der Sammlung Le Spleen de Paris von Charles Baudelaire.

Ich habe diese Prosa in einer Diskussion gelesen und war sofort ergriffen von dem drastischen Bild des Mannes, dem ein „wildes Tier am Hals hängt und sich in den Rücken krallt“, und dachte an den Krieg, wenn Menschen von einer Besessenheit getrieben werden, die nicht weniger wild und fordernd ist, die sie aber nicht als Besessenheit, sondern als Notwendigkeit zum Weitermarschieren erleben. Unser Wunsch zu verstehen, weicht dem Protest gegen den Wahnsinn, und eine Zeit lang wird die Gleichgültigkeit zurückgehalten, überwältigt uns aber schließlich als Abwehr gegen den Schmerz der Empathie.

Es ist verständlich, dass diese Unfähigkeit, mit den Kämpfenden mitzufühlen, deren unerträgliche Erfahrung unsere Vorstellungskraft herausfordert und Übelkeit hervorruft, zu der Forderung nach einem Ende des Krieges führt. Tausende von Menschen haben gegen den Krieg in der Ukraine protestiert und gegen die militärische Aufrüstung derjenigen, deren Land ausgelöscht wird. Der Ruf nach Diplomatie statt Waffen ist laut, und in die Wut mischen sich Frustration und Angst, und aus den Lautsprechern dringt die Panik, dass ein Weltkrieg mit all seinen Schrecken die Folge der Aufrüstung der Ukraine mit effektiveren Waffen sein könnte.

Niemand, der bei gesundem Verstand ist, kann einen Krieg wollen, sei es ein konventioneller Konflikt oder ein Atomschlag. Das Problem ist, dass diejenigen, die mit dieser „Riesenchimäre“ auf dem Rücken in die Schlacht ziehen, keine andere Perspektive haben, und die von Hass getriebenen Befehlshaber dieser Soldaten sind von ihrer eigenen Besessenheit überwältigt. Die so Besessenen hören nicht auf die Rufe nach Frieden, und für sie ist der einzig gangbare Weg zum Frieden das Ergebnis eines Sieges, und unter den Opfern gibt es eine vage Hoffnung, dass ihre Angreifer diese wilde Bestie nur dann loswerden und einen Weg zum Frieden finden könnten, wenn sie besiegt werden. Die Aussicht, überrannt und einer „kulturellen Säuberung“ unterworfen zu werden, macht sie in ihrem Kampf entschlossen.

Die Welt kann auch nicht tatenlos zusehen und nicht anerkennen, dass in der Vergangenheit die Politik sowohl der westlichen als auch der östlichen Regierungen diesen Konflikt verursacht hat, der vermeidbar war, aber diese Schimäre des Krieges hat den Tätern eine Ideologie der Vorherrschaft, eine heilige Mission und Visionen von Größe gegeben und Dissens und Opposition ausgeschlossen. Die Tatsache, dass ehemals angesehene russische Autoritäten aus den Fenstern hoher Gebäude fallen, ist ein Zeichen dafür, dass interne Konflikte rücksichtslos zum Schweigen gebracht wurden. Die einzige Möglichkeit, diesen Konflikt zu beenden, besteht darin, dass der Anstifter erkennt, dass er keinen Erfolg haben kann, aber selbst dann wird seine Ideologie fortbestehen, wenn die Menschen in Russland nicht in den Aufbau einer gemeinsamen Zukunft einbezogen werden. Einen Konflikt zu gewinnen ist eine Sache, eine friedliche Koexistenz zu gewinnen eine andere.

Hier muss sich der Westen fragen, ob wir in der Lage sind, einen kooperativen und nicht einen konkurrierenden Weg einzuschlagen. Solange wir glauben, dass wir tun können, was wir wollen, weil wir angeblich moralisch überlegen sind, werden wir nicht in der Lage sein, dies zu tun. Unsere Strategie des Globalismus hat sich als äußerst zerstörerisch erwiesen und hat nur den Oligarchen dieser Welt gedient, die mehr Milliardäre als je zuvor geschaffen haben, quasi eine herrschende Elite, deren Religion Profit und Wirtschaftswachstum ist. Es handelt sich praktisch um einen Dauerkonflikt ohne Waffen, aber mit fast ebenso vielen Opfern und Toten, mit einer großen Missachtung von Kulturen und Traditionen und einer Missachtung der menschlichen Schwächen und Bedürfnisse. Es ist wie eine Maschine, die die Welt durchkämmt, wobei die Umwelt von ihren Aktionen gleichermaßen betroffen ist.

Worin besteht letztlich der Unterschied zwischen dieser Maschine und der Chimäre, die die Menschen in den Krieg treibt? Ohne die Erkenntnis, dass die Menschheit in all ihrer Vielfalt eins ist und dass unsere Zukunft nur gemeinsam bewältigt werden kann, werden wir aussterben und der Planet wird eine andere Art an unserer Stelle gedeihen sehen. Wir haben es in der Hand, aber wir müssen zuerst die wilde Bestie zähmen, die vom russischen Volk Besitz ergriffen hat, und dann gemeinsam mit ihm nach Wegen suchen, unsere Unterschiede zu überwinden. Andernfalls wird die Bestie auch von uns Besitz ergreifen, und es wird keine Hoffnung mehr geben.


[i] Die Bezeichnung Chimäre leitet sich von einem Mischwesen der griechischen Mythologie ab. Die Chimära ist ein Feuer schnaubendes Ungeheuer, vorn Löwe, in der Mitte Ziege, hinten Drache, das von Bellerophon getötet wurde.

Böses Blut: Die Geschichte der EugenikAdam Rutherford

(Als Buch – Control: The dark history and troubling present of Eugenics)

Der BBC hat eine sechsteilige Serie auf seine Internetseite Sounds, geschrieben und präsentiert von Adam Rutherford, die die Geschichte der Eugenik verfolgt, wie sie schreiben „von ihren Ursprüngen in den bürgerlichen Salons des viktorianischen Großbritanniens über die Fitter-Familien-Wettbewerbe und Sterilisationsgesetze des Goldenen Zeitalters in den USA bis hin zu den völkermörderischen Schrecken in Nazi-Deutschland.“ Ich fand das Thema so verstörend und zugleich faszinierend, dass ich meine Leser in Deutschland darauf aufmerksam machen wollte. Wer sich die englische Sprache zutraut, möge die Serie einsehen, es befindet sich zurzeit hier:

https://www.bbc.co.uk/sounds/brand/m001fd39

Ich war mit dem Thema Eugenik noch nicht vertraut, dass im viktorianischen Großbritannien aus dem Denken des Sir Francis Galton hervorging, ein englischer Universalgelehrter des viktorianischen Zeitalters: Statistiker, Soziologe, Psychologe, Anthropologe, Tropenforscher, Geograf, Erfinder, Meteorologe, Proto-Genetiker, Psychometriker und Verfechter des Sozialdarwinismus, der Eugenik und des wissenschaftlichen Rassismus. Es handelte sich um eine Theorie zur Züchtung besserer Menschen, die neue biologische Ideen mit dem Erhalt des Imperiums und dem rigiden Snobismus der Bourgeoisie verband. Die Ideen gewannen jedoch schnell an Schwung und wurden von einer Vielzahl von Wissenschaftlern, Sozialreformern und Schriftstellern als moralisches und politisches Bestreben zur Lösung drängender sozialer Probleme aufgegriffen. Diese „Eugeniker“ glaubten, dass wir uns eine bessere Zukunft ohne Krankheiten und Behinderungen, ja sogar ohne Kriminalität und Armut schaffen könnten, indem wir die richtigen Menschen dazu ermutigen, Kinder zu bekommen, und andere davon abhalten, dies zu tun. Die Befürworter sahen darin eine „edle Kunst“.

Die Geschichte gipfelt im Ersten Internationalen Eugenik-Kongress von 1912. Er wurde von der britischen Eugenics Education Society organisiert unter Leitung von Leonard Darwin. 400 Delegierte waren im Hotel Cecil in South Kensington London untergebracht, um die Wissenschaft – und die Ideologie – der besseren Züchtung zu propagieren und zu entwickeln. Zu den herausragenden Teilnehmern zählte Winston Churchill, Erster Lord der britischen Admiralität, Richard Webster, Oberster Richter von England und Wales und Arthur Balfour, sowie die Botschafter aus Norwegen, Griechenland und Frankreich. In seiner Eröffnungsrede erklärte Darwin, dass die Einführung von Prinzipien zu einer Zucht besserer Menschen Mut verlange. Ein globaler Kreuzzug war in Bewegung gekommen und weitere Internationaler Eugenik-Kongressen fand in den Jahren 1921 und 1931 statt.

Wie Adam Rutherford deutlich macht, diese mitreißende utopische Rhetorik implizierte andererseits die dunkleren Implikationen der eugenischen Ideen: Das Schicksal derjenigen, die als „untauglich“ gelten? Was sollte mit ihnen geschehen?

In der zweiten Folge der Serie, wird der Schlachtruf weißer Rassisten auf einer „Unite the Right“ Kundgebung in Charlottesville 2017, „Ihr werdet uns nicht ersetzen“ thematisiert. Sie meinten damit die Vorstellung, dass Einwanderer und Farbige durch die Vielzahl an Kinder, die sie gebaren, die dominante weiße Menschen ersetzen könnten. Eine ähnliche Vorstellung, wie in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts, als Millionen von Einwanderern aus Süd- und Osteuropa auf Ellis Island ankamen, die die amerikanische Kultur erfasste. Die sogenannten „alteingesessenen“ Amerikaner – nicht Ureinwohner, sondern eine weiße Elite, die die Industrie und die Regierung beherrschte – schlossen sich der „Ersatztheorie“ und der eugenischen Idee des „Rassenselbstmords“ an. The Great Gatsby, ein Roman von F. Scott Fitzgerald aus dem Jahr 1922, thematisierte diese Stimmung und führt uns in die Welt der Superreichen, ihrer Parteien und ihrer Politik.

Inmitten dieser fiebrigen Zeit des kulturellen und wirtschaftlichen Wandels wird das Eugenics Record Office (ERO) in Cold Spring Harbor, New York, USA gegründet. Unter der Leitung von Charles Davenport und Harry Laughlin wurde es von der Carnegie Institution of Washington’s Station for Experimental Evolution gegründet und später von deren Abteilung für Genetik verwaltet, und zu einem Hauptquartier für die wissenschaftliche und politische Förderung der Eugenik.

Das Notquotengesetz von 1921 hatte die Einwanderung so wirksam reduziert, dass der Kongress sich beeilte, das Quotensystem dauerhaft einzuführen. 1924 hat die eugenisch geprägte Anti-Immigranten-Bewegung ihren Sieg errungen – Amerika schließt mit dem Einwanderungsgesetz von 1924 (Johnson-Reed-Gesetz) seine Tore, und der Zustrom von Einwanderern wird fast vollständig gestoppt. Um die Einwanderung weiter einzuschränken, führte dieses Gesetz erweiterte Quoten für die „nationale Herkunft“ ein, ein äußerst restriktives und quantitativ diskriminierendes System. Das Quotensystem sollte bis 1965 das wichtigste Mittel zur Bestimmung der Zulässigkeit von Einwanderern in die Vereinigten Staaten bleiben.

Im Folge 3, wird erklärt, wie im Amerika des 20. Jahrhunderts es einen Kampf um die Geburtenkontrolle gab – ein Kampf, wie wir aus den Medien entnehmen, der bis heute andauert. Es wurde zunächst diskutiert, wer daran gehindert werden sollte, Kinder zu bekommen, und wer das entscheiden darf. Bereits im Jahr 1907 verabschiedete Gouverneur J. Frank Hanly das erste staatliche „Eugenikgesetz“, dass die Sterilisation für bestimmte Personen in staatlicher Obhut vorschrieb. Staatliche Einrichtungen erhielten die Befugnis, Menschen zu sterilisieren, die als „degeneriert“ galten – oft gegen ihren Willen. Der Oberste Gerichtshof von Indiana erklärte das Gesetz von 1907 1921 für verfassungswidrig und berief sich dabei auf die Verweigerung eines ordnungsgemäßen Verfahrens gemäß dem vierzehnten Verfassungszusatz. Das Gesetz von 1927 setzte die Sterilisation wieder ein und fügte Berufungsmöglichkeiten hinzu. Soweit bekannt, wurden mindestens 2.500 Menschen in staatlicher Obhut sterilisiert.

Als Gegensatz, wurden im gleichen Zeitraum die Frauen immer gebildeter, selbstbewusster und sexuell befreiter. Junge Männer und Frauen legten die schwerfälligen Umgangsformen und Moralvorstellungen der Generation ihrer Eltern ab und wurden in ihrer Kleidung, ihrem Verhalten und ihrer Einstellung lockerer. Junge Frauen schnitten sich die Haare, kürzten ihre Röcke, tranken Alkohol, rauchten, und schminkten sich. In den Roaring Twenties begannen sowohl junge Frauen (Flappers) als auch junge Männer den Charleston zu tanzen und die Frauen erhalten das Wahlrecht. Es kam zu ungewollten Schwangerschaften, aber Verhütung war immer noch illegal und ein absolutes Tabu. Die Pionierin Margaret Higgins Sanger, auch bekannt als Margaret Sanger Slee, eine amerikanische Aktivistin für Geburtenkontrolle, Sexualpädagogin, Schriftstellerin und Krankenschwester, setzt sich jahrzehntelang dafür ein, dass Frauen Zugang zu Verhütungsmitteln erhalten – nur so können sie ihrer Meinung nach wirklich frei sein. Sie machte den Begriff „Geburtenkontrolle“ populär, eröffnete die erste Klinik für Geburtenkontrolle in den Vereinigten Staaten und gründete Organisationen, aus denen sich die Planned Parenthood Federation of America entwickelte.

Im letzten Teil der Folge erzählt Elaine Riddick, die im Alter von 14 Jahren nach einer gewaltsamen Vergewaltigung schwanger geworden war, wie der Eugenik-Ausschuss des Staates North Carolina beschloss, dass sie keine weiteren Kinder bekommen sollte, und sie sterilisierte ohne ihre Zustimmung. Riddick behauptet, der Grund für die Sterilisation ohne ihr Wissen oder ihre Zustimmung sei gewesen, dass der Staat North Carolina sie als „schwachsinnig“ eingestuft habe, ein entwürdigender Begriff, der in der Eugenik häufig verwendet wird. Vor kurzem erzählte sie ihre bewegende Geschichte in dem von Life Dynamics, Inc. produzierten Dokumentarfilm Maafa21: Black Genocide in 21st Century America.

Die deutsche Hinwendung zum Thema Rassenhygiene oder „Rassenreinigung“ in der Mitte und am Ende des neunzehnten Jahrhunderts spiegelt das internationale Interesse an zwei Ideen wider: Zum einen, die Vervollkommnung der Menschheit und zum zweiten, die Gefahr eines raschen Bevölkerungswachstums in den unteren sozioökonomischen Schichten. Für viele schien die Verbesserung der genetischen Basis einer Nation durch die selektive Züchtung von Menschen mit „idealen“ körperlichen Merkmalen in greifbarer Nähe. Folglich sterilisierte der NS-Staat im Namen der Eugenik Hunderttausende gegen ihren Willen, ermordete behinderte Kinder und startete ein Programm des Völkermords.

Adam Rutherford fragt Warum? Wie er sagt, glauben wir gerne, dass die Gräueltaten der Nazis eine einzigartige Abweichung und ein grotesker historischer Ausreißer waren. Jedoch stellt es sich heraus, dass führende amerikanische Eugeniker und Gesetzgeber wie Madison Grant und Harry Laughlin viele der Naziprogramme inspiriert haben, von der Massensterilisation derjenigen, die als „untauglich“ galten, bis hin zu den Nürnberger Gesetzen, die die Heirat von Juden und Nichtjuden verboten. Vor dem Zweiten Weltkrieg betrachteten viele Eugeniker in aller Welt das Nazi-Regime mit neidischer Bewunderung. Nur, die Nazis gingen weiter und schneller als alle anderen vor ihnen. Aber, letztendlich ist die Geschichte der nationalsozialistischen Eugenik jedoch eine Geschichte internationaler Verbindungen und Kontinuität. Zwei bis drei Jahrzehnte bevor Hitler an die Macht kam, führten amerikanische Eugeniker eine Kampagne zur Schaffung einer weißen, nordischen Herrenrasse, blond und blauäugig.[i]

Deutsche Biologen und Anthropologen begannen früh, sich von der theoretischen Beschäftigung mit dem Thema Rasse zu einem eher praktischen Ansatz in der Rassenhygiene zu bewegen. Eugen Fischer, Fritz Lenz und Erwin Baur schlossen sich zusammen und schrieben 1921 den Grundriss der menschlichen Erblichkeitslehre und Rassenhygiene, ein weit verbreitetes Lehrbuch. In den 20er Jahren wurde ein gewisser Adolf Hitler darauf aufmerksam, und Adolf Hitler studierte die amerikanische Eugenik, die amerikanischen eugenischen Gesetze und die amerikanischen eugenischen Theorien, und er gab offen zu, dass er sie bewunderte. „Flink wie Windhunde, zäh wie Leder, hart wie Kruppstahl. So sollte laut Adolf Hitler jeder deutsche Junge sein. Um die „Reinhaltung des gesunden Volkskörpers“ zu gewährleisten, verabschiedeten die Nationalsozialisten am 14. Juli 1933 das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“. Damit wurde die Grundlage für die Verfolgung, Ausgrenzung und später Ermordung von Menschen mit psychischen Krankheiten geschaffen.“[ii] Das Thema der Zwangssterilisation im Dritten Reich wurde von der MDR bearbeitet. Rund 350.000 bis 400.000 Menschen, die als „erbkrank“ galten wurden während der NS-Zeit zwangssterilisiert. Selbst wer in der Schule schlechte Noten bekam, wurde schnell verdächtigt, ein „Idiot“ zu sein oder an „angeborenem Schwachsinn“ zu leiden.

Hitler nahm seinen bereits vorhandenen, in Deutschland verbreiteten Antisemitismus auf und verpackte diesen Rassismus in die Idee der Eugenik, um seine Theorien wissenschaftlich und medizinisch zu rechtfertigen, und tauschte dann das Wort „nordische Rasse“ gegen „arische Rasse“ aus, um das Streben der Nazis nach der Herrenrasse zu rechtfertigen. Ich brauche niemand in Deutschland über die weiteren Konsequenzen berichten.

In Folge 5 spricht Adam Rutherford über die Verquickung von Wissenschaft und Eugenik. Ein Hauptziel der Eugenik im 20. Jahrhundert war die Beseitigung genetischer Defekte in einer Bevölkerung. Wie bereits erwähnt, verfolgten viele Länder dieses Ziel mit staatlich gelenkten Programmen zur unfreiwilligen Sterilisation und sogar zur Ermordung. Rutherford befasst sich mit der Wissenschaft, die hinter dieser dunklen Geschichte steht, aber nimmt auch die Möglichkeiten und Herausforderungen, die die Wissenschaft heute bietet, in Betracht.

In der Mitte des 19. Jahrhunderts gelang Gregor Johann Mendel OSA, österreichischer Biologe, Meteorologe, Mathematiker, Augustinermönch und Abt der Abtei St. Thomas in Brünn, Markgrafschaft Mähren ein Durchbruch. Abt Cyril Napp hatte 1854 ihn erlaubt, im Kloster ein umfangreiches Versuchsprogramm zur Hybridisierung zu planen. Mendel entschied sich für seine Studien mit der Erbse (Pisum sativum), weil es zahlreiche unterschiedliche Sorten gab, die sich leicht kultivieren und die Bestäubung kontrollieren ließen, und weil der Anteil der erfolgreich gekeimten Samen hoch war. Durch die Züchtung von Erbsenpflanzen und die Beobachtung, wie bestimmte Merkmale weitergegeben wurden, erkannte Mendel, dass es Einheiten – kleine Informationspakete – geben musste, die die Merkmale bestimmten. Er hatte quasi das Gen entdeckt.

Natürlich inspirierten seine Erkenntnisse die Eugeniker, und vor allem ab den 1900er Jahren wurde spekuliert, dass, wenn Merkmale durch bestimmte Gene vererbt werden, ihre Politik Menschen mit „schlechten“ Genen davon abhalten sollte, Kinder zu bekommen. Heute spricht man von „guten Genen“, und Mendels Ideen werden immer noch in Klassenzimmern verwendet, um über Merkmale wie die Augenfarbe zu unterrichten. Die Eugeniker glaubten jedoch, dass sich Mendels einfache Erklärungen auf alles anwenden ließen, von der so genannten „Schwachsinnigkeit“ über Kriminalität bis hin zur Armut.

Adam Rutherford weist daraufhin, dass wir auch heute davon das Wissen anwenden, dass bestimmte genetische Bedingungen auf mendelsche Weise weitergegeben werden. Die Achondroplasie, die zu Kleinwuchs führt, ist ein Beispiel dafür und wird durch eine einzige genetische Variante verursacht. Adam Rutherford sprach mit Professor Tom Shakespeare, der an Achondroplasie leidet und einen Rollstuhl benutzt, über diese Krankheit, über seine eigene Entscheidung, Kinder zu bekommen, obwohl er wusste, dass die Krankheit vererbbar ist – und über die Reaktion der medizinischen Fachwelt. Er hat zwei Kinder, die beide ebenfalls an Achondroplasie leiden; seine Tochter Ivy ist Sozialarbeiterin, und sein Sohn Robert ist Beamter.

Rutherford geht auch der Frage nach, wie Genetik heute in den Schulen gelehrt wird – und wie gefährlich es ist, sich auf Mendels verlockend einfache, aber irreführende Darstellung zu verlassen,

In der letzten Folge der Serie stellt Adam Rutherford jedoch die Frage, ob wir heute am Beginn eines „Neogenik“-Zeitalters stehen, in dem Spitzentechnologien und die Macht der persönlichen Entscheidung die Art von genetischer Perfektion erreichen könnten, die Eugeniker im 20. Jahrhunderts anstrebten. Er spricht über den Fall aus dem Jahr 2018, als ein chinesischer Wissenschaftler illegal versuchte, das Genom zweier Embryonen präzise zu verändern, was nicht wie beabsichtigt funktionierte und Gefahren für die danach geborenen Zwillingsmädchen mit sich brachte. Später wurden Lulu und Nana versteckt und ihr Gesundheitszustand ist geheimnisumwittert. Im Grunde waren sie die ersten Designer-Babys, und Rutherford spekulierte, ob es möglich sei, dass solche Experimente weiterhin im Geheimen durchgeführt würden.

Aber auch andere technologische Entwicklungen sind bekannt geworden, die die Fortpflanzung verändern könnte: Bei der In-Vitro-Fertilisation (IVF), eine komplexe Reihe von Verfahren zur Unterstützung der Fruchtbarkeit oder zur Vorbeugung genetischer Probleme und zur Unterstützung der Empfängnis eines Kindes, können mehrere lebensfähige Embryonen erzeugt werden, und ein polygenes Screening könnte dazu dienen, zwischen ihnen zu wählen.

Aber, wie Rutherford feststellt, das zunehmende Verständnis und die Kontrolle über unsere Genetik wird verständlicherweise von einigen als Bedrohung angesehen – als eine unvermeidliche Kraft zur Spaltung der Gesellschaft. Doch anstatt zuzulassen, dass die Genetik die Menschen trennt und in eine Rangordnung bringt, gibt es vielleicht eine Möglichkeit, sie aktiv zu nutzen, um die Gleichheit zu fördern. Professorin Paige Harden, der die Auffassung vertritt, dass die genetische Forschung über individuelle Unterschiede zwischen Menschen mit fortschrittlichen und egalitären sozialen Zielen vereinbar ist, stellt ihren Vorschlag für eine anti-eugenische Politik vor, die sich die genetischen Informationen zunutze macht.

Die Serie ist gut gemacht und das Buch zur Serie kann hier gekauft werden:


[i] https://alschner-klartext.de/2022/09/01/ein-lieblingsprojekt-der-amerikanischen-eugenik-bewegung-war-deutschland/

[ii] https://www.mdr.de/geschichte/ns-zeit/politik-gesellschaft/zwangssterilisation-euthanasie-gesetz-zur-verhuetung-erbkranken-nachwuchses-100.html

Wie Schlau Wir Sind!

Im Artikel „So viel Sexismus steckt in Darwins Thesen“ von Eva Obermüller auf der Seite science.ORF.at haben wir ein weiteres Beispiel für die Verzerrung historischer Fakten, um die moderne Sichtweise als „die wahre“ darzustellen. Es kann überhaupt keine Frage sein, ob Darwin ein Kind seiner Zeit war, natürlich war er das, aber selbst Obermüller muss zugeben, dass er gegen die Sklaverei war, was nicht für ein bigottes Weltbild spricht. Darwin war vor allem ein Beobachter, und seine Skizzen und Notizen waren die Sammlung von Beobachtungen, nicht ein abschließendes Urteil über das, was er beobachtete. In manchem mag er sich getäuscht haben, aber ihm zu einem Rassist zu machen ist unverantwortlich.

https://science.orf.at/stories/3211096/

Misogynie, Frauenhass und Frauenfeindlichkeit sowie Sexismus werden heute oft als Synonyme verwendet. Aber um „frauenfeindlich“ zu sein, muss man Frauen hassen oder zumindest feindselig sein, was bei Darwin überhaupt nicht der Fall ist. Stattdessen beobachtete er die Rollen von Männern und Frauen in den Gesellschaften seiner Zeit und bestätigte den Eindruck, dass Frauen sich oft den Männern unterordneten. Das Patriarchat war offensichtlich vorherrschend. Typischer weise benutzen die von zitierte Quellen ebenfalls zweideutige Formulierungen: „In „Die Abstammung des Menschen“ schreibe er das mehr oder weniger wortwörtlich: „…hence man has ultimately become superior to woman.“ („daher ist der Mann der Frau letztlich überlegen geworden“).“ Es gibt keinen Kontext aus dem das „daher“ kommt, also warum er zum dem Schluss kommt ist im Artikel unklar geblieben.

Die als Klage zu verstehende Darstellung seiner „zimperlichen Beschreibung“ der geschlechtsspezifischen Selektion tut so, als ob Darwin in der Lage wäre, eingehende Studien über einzelne Tierarten zu konsultieren und deren sexuelle Anziehung psychologisch zu beschreiben. Stattdessen befindet er sich auf einer Reise, sogar im übertragenen Sinne, und steht am Anfang. Es bedurfte noch vieler Studien, um seine Thesen zu bestätigen oder zu widerlegen, und die Tatsache, dass er sich überhaupt von den bisherigen Vorstellungen seiner Zeit abgesetzt hat, ist ihm hoch anzurechnen. Natürlich weiß „man heute, dass sich die Vorlieben selbst bei vielen Tieren ändern können, mit den Umweltbedingungen, der Ernährung, den Hormonen oder dem Alter.“ Aber als Vorwurf an dem Mann, der 1871 das Werk veröffentlich hat, ist es viel zu billig.

Stattdessen hat man den Eindruck, dass sich hier einige Leute profilieren, die das nur können, indem sie jemanden diffamieren. Obermüller macht mit, indem sie die kritischen Thesen verdeutlicht und radikalisiert, mitsamt der Überschrift als Köder, um mehr Klicks zu bekommen. Es ist leider typisch für unsere Zeit, die darauf angewiesen zu sein scheint, die Schulter, auf der wir alle stehen, zu diskreditieren und uns selbst zu loben: „Wie schlau wir sind, und wie dumm die Leute damals waren!“ Nur, Darwin machte sich auf den Weg und bereiste die Welt, um sie zu verstehen, anstatt in einem bequemen Büro zu sitzen, über Büchern zu brüten und die Arbeit von verdienten Leuten zu kritisieren.

Hoffnung als Prinzip

Vor kurzem habe ich ein Zitat gelesen, das unsere Gegenwart optimal zusammenfasst: „Die Krise“, sagte Antonio Gramsci, ein italienischer marxistischer Philosoph, Journalist, Sprachwissenschaftler, Schriftsteller und Politiker, „besteht darin, dass das Alte stirbt und das Neue nicht in die Welt kommen kann.“

Wie so oft sind die Marxisten zwar gute Analytiker, aber schlechte politische Realisten. Der Marxismus ist als philosophische Anthropologie, als Geschichtstheorie, als wirtschaftliches und vor allem als politisches Programm gescheitert, zumindest als politisches Programm. Vor allem der sowjetische Marxismus, wie er von Wladimir Iljitsch Lenin entwickelt und von Josef Stalin modifiziert wurde, war eine Katastrophe. Die chinesische Variante des Marxismus-Leninismus von Mao Zedong war möglicherweise noch katastrophaler, und die Nachwirkungen prägen Russland und China noch immer.

Marx war ein Theoretiker und glaubte, dass jede Erkenntnis eine Kritik der Ideen beinhaltet. In seinem Werk wimmelt es von Begriffen (Aneignung, Entfremdung, Praxis, schöpferische Arbeit, Wert usw.), die er von früheren Philosophen und Ökonomen übernommen hatte. Er war also kein Empiriker, und statt sich Wissen durch direkte und indirekte Beobachtung oder Erfahrung anzueignen, arbeitete er mit Theorien und seiner eigenen Interpretation der Geschichte. In vielem mag er richtig gedeutet haben, aber seine Theorien waren missbrauchsanfällig, wie die Geschichte bewies.

Erich Fromm, der sich selbst als Marxist bezeichnete, schrieb: „Seit dem 18. Jahrhundert sind viele ethische Theorien entwickelt worden – einige prestigeträchtigere Formen des Hedonismus, wie der Utilitarismus, und einige streng anti-hedonistische Systeme, wie die von Kant, Marx, Thoreau, und Schweitzer. Seit dem Ende des Ersten Weltkriegs ist unsere heutige Zeit jedoch weitgehend zur Theorie und Praxis des radikalen Hedonismus zurückgekehrt“. Später im Buch schreibt er: „Marx lehrte, dass Luxus ein ebenso großes Laster sei wie Armut, und dass es unser Ziel sein sollte, viel zu sein, statt viel zu haben.“ Fromm reiht diese Aussage von Marx neben Zitate aus dem Lukasevangelium von Jesus, Aussagen von Meister Eckhart und Lehren von Buddha und unterscheidet damit sein Verständnis von „dem wirklichen Marx, dem radikalen Humanisten“, von den „üblichen Verfälschungen des Sowjetkommunismus“.

Die Idee, dass eine „alte Welt“ sterben muss, um eine „neue Welt“ zu gebären, ist ebenfalls sehr alt, und die Geschichte ist voll von Konflikten, die davon zeugen, wie radikal alte Paradigmen verteidigt werden und zahlreiche Märtyrer das Leben gekostet haben. Im Achsenzeitalter, der Periode von etwa 800 bis 200 v. Chr., wurde die Aufforderung, zurückzutreten und zu analysieren, in vielen Kulturen als Ablehnung der Götter und Bedrohung der Zivilisation geahndet und mit dem Tod bestraft. Andersdenkende in Religion und Philosophie wurden für ihre Ketzerei mit ähnlichen Strafen belegt, und selbst berühmte Namen wie Sokrates und Jesus von Nazareth wurden wegen Gotteslästerung und Verführung getötet. Kein Wunder also, dass sich die Menschen im postreligiösen 20. Jahrhundert an alte Wirtschaftsparadigmen klammern, auch wenn diese offensichtlich bankrott sind, weil die Alternativen wenig Hoffnung zu machen scheinen. Die Postmoderne, die darauf aus ist, alle Konventionen zu dekonstruieren, zeigt kaum Perspektiven auf, stattdessen entstehen aus Mangel an Innovation alte Ideologien wie der Marxismus, obwohl diese bereits bankrott sind.

Erich Fromm hat versucht, eine Synthese der Weisheit der Welt zu schaffen, um ein neues Paradigma, einen realistischen Weg in die Zukunft zu entwickeln, aber das ist viel komplizierter als die Dekonstruktion der bestehenden Ordnung, die die bevorzugte Strategie der Postmodernen von heute ist. Es stimmt, dass die Veränderungen, die notwendig sind, um aus der Sackgasse herauszukommen, viel zu spät kommen, und die Bewohnbarkeit der Welt für die Menschen ist bereits gefährdet. Es stimmt auch, dass es die sich abzeichnende Wirtschaftskrise ist, die im Verborgenen Konflikte, das Entstehen oder die gewaltsame Durchsetzung autoritärer Regime sowie die verlorene Zustimmung zur und das Vertrauen in die Demokratie verursacht. Aber wie Einstein sagte: „Die Welt, wie wir sie geschaffen haben, ist das Ergebnis unseres Denkens. Sie kann daher nicht verändert werden, ohne dass wir unser Denken ändern.“ Wie die Geschichte zeigt, besteht die Herausforderung darin, die Dinge mit so wenig Opfern wie möglich zu verändern.

Natürlich wehren sich Menschen, die Macht und Privilegien haben, gegen die Verluste, die sie zu erleiden glauben, wenn der Wandel vollzogen wird, und allein der Gedanke, alte Gewohnheiten aufgeben zu müssen, ruft aggressiven Widerstand hervor. Das größte Problem scheint mir jedoch die gegenseitige Abhängigkeit zwischen den Ländern und die Tatsache zu sein, dass die Menschen in den Industrieländern kaum eigene Ressourcen zu haben scheinen. Es wurde bewusst eine Abhängigkeit geschaffen, damit „die Maschine“, das globale Wirtschaftskonstrukt, weiterlaufen kann. Die Horrorszenarien von Filmen wie der Matrix haben bereits ihre Entsprechung, aber was der Film nicht zeigt, ist, wie viele Opfer die Zerstörung der Matrix mit sich bringen würde.

Aber um einen Wandel herbeizuführen, müssen wir uns selbst in Frage stellen: Lehnt man eine solidarische Gesellschaft ab, weil es Menschen gibt, die das System ausnutzen? Jedes System hat Schlupflöcher, alles andere wäre ein autokratisches System, mit drakonischen Strafen und extrem harter und strenger Durchsetzung, wie wir es derzeit in China mit den Corona-Maßnahmen erleben. Es ist leicht, sich eine Gesellschaft des Mitgefühls und der Solidarität vorzustellen, es ist etwas anderes, sie umzusetzen. Eine Geschichte hat mir das einmal deutlich gemacht:

Zwei Nachbarn sitzen Seite an Seite auf einer Bank in der Sonne und gehen ihren Gedanken nach. Der eine sagt: „Stell dir vor, du hättest einen Rolls-Royce“ – „Hmmm“, murmelt der andere vergnügt und stellt sich vor, wie er im Luxus chauffiert wird. „Und jetzt stell dir vor, du hättest zwei Rolls-Royce; würdest du mir einen geben?“ – „Klar!“, sagt der andere, und beide lächeln zufrieden und versinken in ihren Träumen. Nach einigem Schweigen sagt der eine: „Stell dir vor, du hättest zwei Segelyachten.“ – „Oh ja, das ist gut“, lächelt sein Freund und stellt sich vor, wie sie aussehen würden, „Würdest du mir eine schenken?“, fragt sein Freund. „Klar!“, sagt der andere herablassend. Nach einer Weile fragt der erste: „Stell dir vor, du hättest zwei Hemden – meinst du, du würdest mir eins schenken?“ „Nein!“, sagt der Freund. „Warum?“, fragt der andere. „Ich habe zwei Hemden!“, antwortet der Freund.

An dieser Stelle komme ich auf Erich Fromm zurück, der mit seinem Buch „Haben Oder Sein“ das größte Problem eines Systemwechsels benannt hat. Solange wir uns am Besitz orientieren, werden wir nicht wirklich zu einer solidarischen Gesellschaft. Würden wir uns dagegen an dem orientieren, was wir für die Gemeinschaft, zu der wir auch gehören, schaffen können, wäre das Gelingen dieser Zusammenarbeit wichtiger als die Frage, wie viel mehr ich habe als jemand anderes. Natürlich schreien manche auf: „Das ist Kommunismus!“ Aber das ist in erster Linie eine Haltung, eine Denkweise, keine Ideologie. Und wie Fromm betont, ist diese Denkweise Teil der Weisheit von Jahrtausenden menschlicher Erfahrung. Gegenseitige Solidarität führte vor sehr langer Zeit dazu, dass die Menschen Handel trieben und Waren austauschten. Es ging nur schief, als die Industrialisierung des Handels zur Ideologie wurde und Profit und Wachstum zum Sinn des Lebens machte.

In der Folge sind die Sorgen, die die Menschen umtreiben, die Angst, dass sie nichts mehr haben, dass, wie in der sowjetischen Wirtschaft, Millionen von Menschen verhungern, dass sie ausgebeutet werden, dass ihr Leben elend und sinnlos wird, dass sie keine Freude mehr haben werden. Es ist die Angst, dass das Leben nicht mehr so angenehm sein wird, und das Schlimmste ist, dass am Ende alles umsonst ist, weil irgendwann irgendein Herrscher die Macht übernimmt und alles nur noch schlimmer wird. Deshalb nehmen sie auch die in den Medien dargestellten Bedrohungen durch den Klimawandel nicht so ernst, weil die Alternative noch schlimmer erscheint. Woher nehmen die Menschen ihre Hoffnung für die Zukunft?

Der Journalist Georg Diez schrieb in der Zeit vom 28. November 2021: „Heute verdichtet sich die Hoffnungslosigkeit auf unerwartete Weise: Es gibt eine Mischung aus tiefem Verdruss, echtem Schmerz, einer ständig präsenten Angst und einer Resignation, die mehr bedeutet als ein individuelles Lebensgefühl, mit dem man sich nur noch durch den Nieselregen der eigenen Biografie schleppt – es ist eine gesellschaftliche Krise. Denn aus dieser Resignation erwächst eine mürrische Passivität, die politisch wirksam und auf Dauer demokratisch zerstörerisch wird.“ Er sprach dann über die Situation mit dem Corona-Virus, aber auch über den desaströsen Klimagipfel in Glasgow, und dennoch sieht er „zwischen dem Realen und dem Möglichen“ eine Chance, Innovation, Veränderung und Hoffnung zu finden. „Hier kommt nun die Hoffnung ins Spiel, die mehr ist als ein schwaches Gefühl, die nicht vage und ungefähr ist, wie man meinen könnte, oder wie sie sich vor allem im leidend-christlichen Kontext etabliert hat. Im Gegenteil, sie ist eine Kulturtechnik des Überlebens, sie kann erlernt und eingeübt werden, sie kann zu einer Strategie werden, die eine Realität erzeugt. In der Hoffnung, radikal verstanden, vollzieht sich der Schritt vom Gestern ins Morgen und aus der Passivität heraus.“

Der deutsche Philosoph Ernst Bloch schrieb im Vorwort zu seinem Buch „Das Prinzip Hoffnung“: „Es kommt darauf an, hoffen zu lernen. Seine Arbeit ist nicht der Verzicht, sondern die Liebe zum Erfolg statt zum Misserfolg.“ Und Konfuzius erkannte schon vor langer Zeit: „Es ist besser, ein einziges kleines Licht anzuzünden, als die Dunkelheit zu verfluchen.“ Die Frage ist, wo wir das Licht finden und ob wir den Mut haben, es anzuzünden. Die dunklen Jahreszeiten sind traditionell Zeiten, in denen man sich gegen die Dunkelheit auflehnt, Lichter entzündet und Pläne schmiedet. Ich glaube, dass jeder von uns sein eigenes Licht anzünden und mit anderen hoffen muss, um die Dunkelheit zu vertreiben.

„Berlin, wir haben ein Problem …“  

Man braucht nur einen kurzen Blick in die sozialen Medien zu werfen, um zu sehen, wie jede Diskussion sofort von irgendeinem anonymen Teilnehmer radikalisiert wird, ganz gleich, um welches Thema es geht. Das Problem scheint der wachsende Glaube zu sein, dass die Gesellschaft nur aus fragwürdigen Konstrukten besteht, die allesamt korrupt und Agenda-gesteuert sind. Das Problem ist, dass diese Ansicht oft die eigene Einstellung zur Gesellschaft widerspiegelt und die fehlende Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen.  

Das größte Problem, das ich beobachte, ist, dass die Menschen sich selbst nicht mehr im geistigen Spiegel betrachten. Sie glauben, was die Stimme in ihrem Kopf ihnen sagt, ohne innezuhalten und die Gedanken zu hinterfragen. Die Frage ist nicht so sehr, ob etwas wahr ist, sondern ob es in meinem Freundeskreis Akzeptanz findet. Infolgedessen haben wir eine seltsame Vorstellung von Demokratie entwickelt, bei der die Mehrheit bestimmt, ob etwas wahr ist, und nicht eine ausgewogene Recherche. Das Problem dabei ist, dass wir es schon einmal erlebt haben, dass es wichtig war, alle zusammen mitzuschreien und mitzumarschieren.  

Es macht es denjenigen leicht, die einen autoritären Staat bevorzugen, denn die Menschen sind leicht zu manipulieren, und je mehr ich sie von Bildung oder informierter Berichterstattung trenne, desto leichter ist es für sie, denen zu glauben, die ihnen nach dem Mund reden, gefällige Parolen ausgeben und sie bei Laune halten. Es hilft, klare Feindbilder zu haben, „den Buhmann“, der für alle steht, die man je unsympathisch fand. Deshalb sollte er leicht zu erkennen sein und in den sozialen Medien entsprechende Beschimpfungen hervorrufen, die unisono wiederholt werden können.  

Interessant ist, dass es von beiden Seiten der politischen Extreme genutzt wird, so dass die Anarchie plötzlich seltsame Verbündete offenbart und Mitglieder der Linken und der AfD Hand in Hand die Demokratie in Frage stellen. Es ist auch vergleichbar damit, wie ein hysterischer Eiferer versucht, extreme Positionen durchzusetzen, sei es die uneingeschränkte Akzeptanz des Zugangs von Transgendern zu allen Bereichen, die zum Schutz von Frauen und Mädchen eingerichtet wurden, oder das genaue Gegenteil, Transgender praktisch verbieten zu wollen. Absolute Schrankenlosigkeit versus absolute Kontrolle, und in der Mitte scheint es ein Niemandsland zu geben. Wie gesagt, wir waren schon einmal hier, als sich die Leute eingegraben und mit Granaten beworfen haben. 

Nach dem Zweiten Weltkrieg herrschte in Deutschland Einigkeit darüber, dass von deutschem Boden kein Krieg ausgehen sollte. Es scheint, dass wir uns im eigenen Land zum verbalen Krieg anstacheln ließen. Jeder wusste, dass die große Begeisterung für den Sport, die bedingungslose Treue zur eigenen Mannschaft und die Verachtung für die Fans der gegnerischen Mannschaft, ein Ersatz für den Krieg war. Dass sie nun auch auf jede Debatte übertragen wurde, hat zugenommen. Ja, es gibt andere schlimmere Beispiele, höre ich mein Leser sagen, doch diese stellen ein Trend dar, und es wird angestachelt von Ländern, die bereits unter autoritären Regimen stehen. Der kalte Krieg lebt wieder auf. 

Passen Sie bitte auf, glauben sie erstens die Stimme im eigenen Kopf ohne Vorbehalt, und auch nicht was andere sagen, ohne zu prüfen, ob es wahr ist. Nur weil ein Freund etwas gesagt hat, bedeutet nicht, dass es wahr sein muss. Jede von uns kann getäuscht werden, und je verbissener unser Kampf, umso schwieriger es ist sich zu revidieren. Vor allem, wir können nur zusammen die Probleme bewältigen, die auf uns zukommen, nicht in Schützengräben eingegraben. 

Das Jahr 2023 beginnt!

Dieses Jahr hat fantastisch angefangen, und wir haben uns Covid zugezogen, wahrscheinlich in der Kneipe, die wir früh verlassen haben, weil die Musik so laut war. Also hat nicht nur der DJ den Abend ruiniert, sondern jemand in der Gruppe hatte Covid und wusste wahrscheinlich nichts davon. Man kann wohl sagen, dass es vorhersehbar war, aber ich bin trotzdem nicht glücklich darüber. Wir haben unsere Gewohnheiten für diesen Abend geändert, und ich bin sicher, das war der entscheidende Fehler. Es ist schon seltsam, wie man die Vorsichtsmaßnahmen, die die Menschen vor Hunderten von Jahren getroffen haben, in der heutigen Zeit übernehmen kann: Misstrauen ist allgegenwärtig, Aberglaube ist weit verbreitet, Verschwörungstheorien verbreiten sich wie ein Lauffeuer, und Menschen mit weniger Mitteln meiden andere, aus Angst vor ansteckenden Krankheiten.

Ich erinnere mich an einen Arzt, der mir vor einigen Jahren erzählte, dass er und seine Kollegen während ihres Studiums sicher waren, dass wir eines Tages in eine Ära eintreten würden, in der Impfschäden auf ein Minimum reduziert würden und die Menschen um die Welt reisen könnten. Es scheint, dass sich ihre Hoffnung zerschlagen hat. Wir reisen zwar um die Welt, aber wir bringen Infektionen mit, gegen die wir immer mehr Impfungen brauchen. Ich bin sicher, dass sich auch andere wie ein Nadelkissen fühlen, und doch sind wir hier mit Covid. Mir ist klar, dass es schlimmer hätte sein können und dass der Impfstoff unseren Körper in die Lage versetzt hat, besser damit umzugehen, aber gut ist es trotzdem nicht. Aber ich lebe noch und es geht mir gut, also brauche ich nicht allzu viel Trost. Wir haben das Glück, dass wir alles, was wir zum Überleben brauchen, schon vorher gekauft haben, so dass wir keine Leute brauchen, die für uns einkaufen gehen. Es sind nur die Abende, die immer schlimmer werden, und die Tatsache, dass man tagsüber schnell müde wird.

Was natürlich wie ein Damoklesschwert über uns hängt, ist die Tatsache, dass der Krieg in der Ukraine weitergeht und man das Gefühl hat, dass etwas vorbereitet wird, das die Welt erschüttern wird. Das ist immer der Fall, wenn man das Gefühl hat, dass der Außenseiter auf dem Vormarsch ist, und ich hoffe, dass ich mich irre. Natürlich werden die versprochenen Waffen den Ukrainern helfen, sich zu verteidigen, aber da Putin nicht nachgibt, scheint es unbestreitbar, dass er eine Lösung anstreben wird, die uns den Atem rauben könnte. Ich bin es leid, dass der Westen dazu neigt, auf Menschen einzudreschen, die eine andere Meinung haben oder nicht so reagieren, wie wir es uns wünschen, und das ist nicht nur ein Problem der sozialen Medien, sondern auch eines der Presseindustrie. Der deutsche Bundeskanzler Scholz hat ganz klar und meines Erachtens auch verständlich gesagt, dass es kein eigenständiges Handeln Deutschlands geben wird, sondern nur in Absprache mit den NATO-Verbündeten. Deshalb war die jüngste Erklärung zur Waffenhilfe eine Entscheidung, die gemeinsam mit den USA und Frankreich getroffen wurde. Seine Position wird nicht nur international, sondern auch national kritisiert, aber das ist der Stand der Dinge in der Presse.

Dieser ganze Konflikt hält uns auf Trab, aber auch das Klimaproblem ist nicht zu übersehen. Der Schneemangel in den Alpen ist derzeit nur ein Problem für die Tourismusindustrie und die Skifahrer, während in anderen Teilen der Welt Schnee im Überfluss vorhanden ist – manche würden sagen, zu viel. Der Klimawandel verändert die Gebirgsregionen auf der ganzen Welt, und das gilt natürlich auch für die Alpen. Die Gletscher schrumpfen, die Baumgrenze verschiebt sich, und die Schneeperioden im Winter werden kürzer. Auch in den Alpen wird die Schneesaison kürzer. Filme von Wanderern rund um die Rheinquelle zeigen einen traurigen Anblick, der die Frage aufwirft, wie lange der Rhein noch Schiffe und Waren transportieren wird. Ich glaube, dass viele denken, dass das süße Wasser nur aus dem in der Luft aufbereiteten Wasser kommt, aber der Regen muss an der richtigen Stelle fallen, um von der Natur und den Menschen genutzt zu werden und nicht zu sauer zu sein. Es gibt ein Gleichgewicht, das bewahrt werden muss, und wir haben das Gefühl, dass das Wetter aus dem Gleichgewicht geraten ist.

In Deutschland fragen sich wohl die meisten Menschen, was die Aufregung um die Berichterstattung über Prinz Harrys Dienst angeht. Es ist wirklich seltsam, wie ein gewisser Mic Wright auf substack feststellt, denn in Afghanistan wurden nach seiner Rückkehr 2013 ähnliche Dinge geschrieben, wie sie jetzt in seinem Buch erschienen sind. Mic Wright legt in seinem Artikel den tiefen Hass der rechten Presse auf Harry offen und zeigt den Unterschied in der Berichterstattung damals und heute, die heute eindeutig darauf abzielt, ihm zu schaden. Wright erwähnt die Tatsache, dass sie sogar die Taliban nach ihrer Meinung gefragt haben, was ein Attentat noch möglicher (wahrscheinlicher?) macht.

Peter Hunt, ehemaliger BBC-Korrespondent und -Moderator, hat sich auf Twitter zu Prinz Harrys Buch geäußert, das in der Presse stark kritisiert wurde, indem er die folgenden Aussagen zitiert:

„Afghanistan war ein Krieg voller Fehler, ein Krieg mit enormen Kollateralschäden – Tausende von Unschuldigen wurden getötet und verstümmelt, und das hat uns immer verfolgt. Mein Ziel war es daher, vom Tag meiner Ankunft an niemals mit dem Zweifel ins Bett zu gehen, dass ich das Richtige getan hatte, dass meine Ziele richtig waren, dass ich auf Taliban und nur auf Taliban schoss und keine Zivilisten in der Nähe waren. Ich wollte mit allen meinen Gliedmaßen nach Großbritannien zurückkehren, aber noch mehr wollte ich mit einem intakten Gewissen nach Hause gehen. Das bedeutete, dass ich mir zu jeder Zeit bewusst sein musste, was ich tat und warum ich es tat.“

„Die meisten Soldaten können Ihnen nicht genau sagen, wie viele Tote sie zu beklagen haben. Unter Gefechtsbedingungen wird oft wahllos geschossen. Aber im Zeitalter von Apaches und Laptops wurde alles, was ich im Laufe von zwei Kampfeinsätzen tat, aufgezeichnet und mit einem Zeitstempel versehen. Ich konnte immer genau sagen, wie viele feindliche Kämpfer ich getötet hatte. Und ich hielt es für unerlässlich, diese Zahl niemals zu verheimlichen. Unter den vielen Dingen, die ich in der Armee gelernt habe, stand die Rechenschaftspflicht ganz oben auf der Liste.“

„Also, meine Zahl: Fünfundzwanzig. Es war keine Zahl, die mir Befriedigung verschaffte. Aber es war auch keine Zahl, für die ich mich schämte. Natürlich hätte ich es vorgezogen, diese Zahl nicht in meinem militärischen Lebenslauf zu haben, aber genauso hätte ich es vorgezogen, in einer Welt zu leben, in der es keine Taliban gab, in einer Welt ohne Krieg. Aber selbst für einen gelegentlichen Anhänger magischen Denkens wie mich lassen sich manche Realitäten nicht ändern.“

„In der Hitze und im Nebel des Kampfes habe ich diese fünfundzwanzig nicht als Menschen betrachtet. Man kann keine Menschen töten, wenn man sie als Menschen ansieht. Man kann Menschen auch nicht wirklich schaden, wenn man sie als Menschen betrachtet. Sie waren Schachfiguren, die vom Brett genommen wurden, „die Schlechten“, die entfernt wurden, bevor sie „die Guten“ töten konnten. Ich war darauf trainiert worden, sie „anders“ zu sehen, gut trainiert. Auf einer gewissen Ebene erkenne ich diese erlernte Distanzierung als problematisch an. Aber ich sah sie auch als einen unvermeidlichen Teil des Soldatentums an. Eine andere Realität, die man nicht ändern kann.“

Wer dafür kein Verständnis für diese Worte hat und dies in einer Tageszeitung kritisiert und sich dabei sogar auf die Meinung der Taliban beruft, kann nicht mit der Waffe gedient haben und ist ein Verräter an allen Soldaten, die in diese Lage gebracht wurden, und an Harry, der einen durchaus respektablen und nachdenklichen Bericht über seinen aktiven Dienst gegeben hat. Ich kann die Verachtung nicht verbergen, die ich für Menschen empfinde, deren einziger Lebenszweck darin besteht, andere Leben zu zerstören. Es tut mir leid, dass Harry sein Buch herausgebracht hat, aber wie eine andere öffentliche Figur in England, James O’Brien, schon sagte, wird es den Leuten jetzt schwerer fallen, sich Dinge auszudenken, nachdem Harry’s Seite der Geschichte veröffentlicht und bekannt ist.

Aber es gibt so viele Fälle, in denen deutlich wird, was für eine verkorkste Gesellschaft wir geworden sind, und es macht mich traurig, wenn ich an die Ukrainer denke, die sterben, und an die Flüchtlinge, die ihr Leben riskieren, um daran teilzuhaben. Natürlich ist es das Beste, was es gibt, Russland und China sind keine Alternativen, aber in was für einen Zustand haben wir uns gebracht! Wahrscheinlich macht Covid alles noch schlimmer, also höre ich hier auf und komme wieder, wenn es mir besser geht.

Eine Silvesterfeier

Es war das erste Mal, dass wir Silvester in einer Gaststätte gefeiert haben, die wir sonst als Restaurant schätzen. Das alte Gewölbe des Ratskellers hat Charakter, das Personal ist sehr freundlich und das Essen schmeckt gut. Die Tischreservierung verlief reibungslos, und der Tisch war frei und zur Seite hin positioniert, so dass die Leute vorbeilaufen konnten, ohne uns zu tangieren. Der Empfang war herzlich und wir setzten uns in freudiger Erwartung.

Wir plauderten über Freunde, Nachbarn, die Nachrichten, die Arbeit, unseren Hochzeitstag, der gerade vorbei war, und es wurden Bilder ausgetauscht, bewundert, Vergleiche angestellt und alle kamen in fröhliche Stimmung. Die Kneipe füllte sich, die Kellnerin kam schnell zu uns und bald hatten wir alle ein Glas Lausitzer Kirsch Porter in der Hand und stießen an. Wir waren etwas zu früh gekommen, da wir nicht genau wussten, was uns erwartete, und hatten bereits zwei Gläser geleert, als wir feststellten, dass es nicht gut ist, auf leeren Magen zu trinken, aber kurz nachdem wir nachgefragt hatten, wurde das Buffet eröffnet und die Gäste strömten dahin, so dass wir uns die Mühe ersparten, sofort aufzustehen, da die Schlange bereits an unserem Tisch stand. Als wir schließlich am Buffet ankamen, waren alle Speisen noch da und versprachen ein Festmahl zu werden, was sich dann auch am Tisch bestätigte, als wir aßen. Nach und nach wurden die Frauen abenteuerlustig und bestellten einen Cocktail, Jörg und ich blieben beim Bier, und wir lauschten der Ansprache der Besitzer, um an den richtigen Stellen zu klatschten.

Dann legte der DJ los und die Tische fingen an zu vibrieren zu bekannte Deutsche Schlager, die nicht meine Musik darstellen aber zumindest die Laune der Gäste angehoben hat. Das Problem entwickelte sich allmählich, denn ich bin sehr empfindlich mit lauten Geräuschen, kann mich in der Regel arrangieren mit Musik. In diesem Fall jedoch, verzerrten sich die Töne und der Bass nahm ständig zu, so wie der allgemeinen Lautstärke, so dass ich anfing Beklemmungen zu bekommen. Der ständige Takt des Schlagzeugs kam mir zunehmend vor wie Schläge auf meinen Körper, die mir die Freude allmählich nahm. Es gab auch kaum Pausen von dem Dröhnen der Bässe, und das Gebrüll des DJs, der meinte singen zu können, der sich noch verstärkte mit dem Mikrofon. Selbst bekannte Lieder machten mir keine Freude mehr und als es zu viel wurde, flüchtete ich nach draußen, um meine Ohren eine Pause zu geben.

Meine Frau und meine Freunde sahen mich mit einem besorgten Blick an, als ich ging, und meine Frau kam mir nach, nachdem sie mich entschuldigt hatte. Wir standen im lauen Wind und sahen uns Jugendlichen zu, die nicht bis Mitternacht warten konnten und bereits Feuerwerkskörper in die Luft schossen. Als es uns beim Zuschauen etwas kühl wurde, gingen wir wieder hinein, aber das Gebrüll und Gedröhne kam uns an der Tür entgegen. Die Kellnerin schaute etwas irritiert, als ich ein weiteres Bier ablehnte, und nach einer Weile war klar, dass ich die zwei Stunden bis Mitternacht nicht durchhalten würde. Wir verabschiedeten uns von unseren Freunden und ließen uns entschuldigen, bezahlten den Bierdeckel und gingen nach Hause.

Auf dem Weg dorthin verriet mir meine Frau, dass sie die Musik noch in den Ohren habe und auch froh sei, nicht mehr warten zu müssen. Überall war der Himmel bereits sporadisch mit Feuerwerkskörpern beleuchtet, was uns erahnen ließ, was uns erwartet hätte, wenn wir bis Mitternacht gewartet hätten und dann zu Fuß nach Hause gegangen wären. Als wir kaum zwanzig Minuten später zu Hause ankamen, herrschte Stille im Haus. Die Nachbarn waren alle ausgeflogen, besuchten Familienmitglieder oder waren anderweitig auf einer Feier. Wir saßen noch einen Moment da und beobachteten das Treiben am Brandenburger Tor, staunten über einige der Darsteller, und plötzlich war es so weit. Die Stille, die wir vorfanden, als wir nach Hause kamen, wurde bereits eine Minute vor Mitternacht durchbrochen, und die Geräuschkulisse erinnerte an einen Kriegsschauplatz, der nicht so weit von uns entfernt war.

Die „feucht-fröhliche“ Freude der Menschen, die Böller warfen und Raketen abfeuerten, schien kein Ende zu nehmen, und ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, dass der Bassschlag in der Kneipe auch mir ein Lächeln entlocken und meinen Geist zusammenstampfen wollte, aber ich war entkommen. Meine Frau und ich küssten uns an unserem 45. gemeinsamen Silvesterabend und zogen uns zurück, wir ließen die Jalousien herunter und gingen ins Bett.

Frohes neues Jahr!

Candle in the wind

And it seems to me you lived your life

Like a candle in the wind

Never knowing who to cling to

When the rain set in[i]

Von Elton John and Bernie Taupin

Ich hörte diese von Elton gesungenen Worte, als ich mich auf einem Laufband abmühte, das in dem Lied als Metapher für das Hollywood-Karussell verwendet wird und das mir an diesem Morgen, als ich schwitzte, noch lebhafter erschien. Aber natürlich war Norma Jean nur eine von vielen, die ihrem Glück folgten und tragischerweise zu früh starben. Später änderte Elton den Text, um über die „englische Rose“ Diana Spencer zu singen, die ebenfalls starb, nachdem sie mit den Umständen zu kämpfen hatte, in der Tretmühle „der Firma“ gefangen zu sein – ein inoffizieller Spitzname aus der Zeit des Vaters von Königin Elisabeth II, König Georg VI, für die britische Königsfamilie und die mit ihren verbundenen Institutionen, einschließlich der Höflinge, des Personals und der arbeitenden Royals, die die Geschäfte der Monarchie am Laufen halten. Dies sind natürlich Menschen, die im Rampenlicht stehen und von der Boulevardpresse verfolgt werden, was der Preis für ihren privilegierten Lebensstil zu sein scheint.

Aber es gibt Millionen von Kerzen im Wind, junge Mädchen und Jungen, kaum aus der Pubertät heraus, die manchmal in Kriegsgebieten mit leuchtenden Augen, aber verwirrt und verängstigt fotografiert werden. In einigen Fällen holt der Fotograf sie Jahre später wieder ein, und der Glanz in ihren Augen ist verschwunden, ihre Gesichtszüge sind verhärtet, und die Realität hat sie eingeholt. Viele sind unauffindbar. Dasselbe gilt für die Gesichter in den Slums der Welt, wo schöne Kinder mit lächelnden Gesichtern im Müll oder auf kargen Böden spielen, aber kaum sind die Mädchen zu jungen Frauen geworden, ist das Funkeln aus ihren Augen verschwunden, und sie schauen weg von der Kamera. Die wenigen strahlenden Gesichter, die gelegentlich die Titelseiten von Zeitschriften zieren, trösten das schlechte Gewissen, das sich angesichts der Armut in der Welt zu Recht schuldig fühlt.

Diese Kinder erinnern mich daran, wie ich in den 1960er Jahren mit meiner Familie durch die Straßen von Malakka ging und eine Gruppe von Kindern sah, die mit hoffnungsvollen, lebhaften Augen hinter uns herliefen, weil ich einem von ihnen ein paar Kupfermünzen zugeworfen hatte, aber ganz hinten in dieser Gruppe waren die schmuddeligen, stummen Kinder, die sich an die Gruppe klammerten, aber eindeutig unterernährt waren. Meine Eltern eilten die Straße hinunter, zogen meinen Bruder und mich hinter sich her und versuchten, die Gruppe abzuschütteln, die die wenigen englischen Wörter hinterher riefen, die sie kannten. Aber es gab auch die helläugigen Almas, junge Mädchen, die als Dienerinnen für die Soldaten bestimmter Ränge arbeiteten, die oft plötzlich verschwanden, und eine ältere Frau nahm ihren Platz ein, wahrscheinlich weil sie zu hübsch gewesen waren.

Ein ägyptischer Führer sagte uns bei einem Ausflug zu den Tempeln am Nil, dass man die Armut an den Augen ablesen kann, und helle Augen sagen einem, dass diese Menschen nicht arm sind. Wir hatten unsere Zweifel, aber bis zu einem gewissen Grad denke ich, dass man an den Augen erkennen kann, ob jemand die Hoffnung verloren hat und gerade so überleben kann. In gewisser Weise ähneln sie einem Kerzenlicht, und in dem Lied von Mike Batt singt Art Garfunkel:

Bright eyes

Burning like fire

Bright eyes

How can you close and fail?

How can the light that burned so brightly

Suddenly burn so pale?[ii]

Obwohl das Lied von einigen als naiv, übermäßig emotional, überflüssig oder abgedroschen verspottet wurde, gefiel mir der melancholische Ton des Liedes, das den Verlust von Leben betrauert, und es schien zu der Verfilmung von „Unten am Fluss“ zu passen, die auf dem gleichnamigen Roman von Richard Adams basiert, den ich in der Schule genossen hatte. Zugegeben, es ist die Geschichte der Odyssee einiger hellsichtiger Einzelgänger, eine Allegorie auf die Gesellschaft und die Utopie eines harmonischen Lebens, aber in gewisser Weise ist es das, worum es mir hier geht.

Die Flamme einer Kerze ist auch ein Symbol der Hoffnung, und der alttestamentliche Prophet sagte über den göttlichen Diener, den der Evangelist Matthäus mit Jesus in Verbindung bringt: „Ein geknicktes Rohr wird er nicht zerbrechen, und einen glimmenden Docht wird er nicht auslöschen.“ Eine Kerzenwache kann symbolisieren, dass eine Sache trotz aller Widrigkeiten weitergeführt wird, und Shakespeare schrieb: „Wie weit wirft die kleine Kerze ihre Strahlen! So leuchtet eine gute Tat in einer müden Welt“, was die symbolische Kraft einer Kerze verdeutlicht. In ähnlicher Weise zünden Menschen Kerzen zum Gedenken an Verstorbene an und nutzen das Symbol, um sich an der Hoffnung festzuhalten, dass ihr Leben nicht umsonst war.

Wenn Menschen wie Lady Diana, die „Königin der Herzen“, die eine äußerst sensible Frau war, vom Palast und der Presse verraten wird, was der Fluch ihres Lebens war, und auf tragische Weise stirbt, scheint die Analogie mit der Kerze im Wind sehr treffend. Aber ich fühle mit den vielen Frauen in der Welt, die unter der Unterdrückung durch Männer leiden, die körperliche und seelische Schmerzen erlitten haben, die weiterhin in Not leben, die von ehemaligen Ehemännern verfolgt werden, die ihnen die Scheidung übelnehmen, oder die nur gesehen werden, wenn sie mit ihren Männern zusammen sind, oder die völlig übersehen werden. Die brutale Fantasie der Männer kennt keine Grenzen und wird sogar gefilmt und verkauft, wobei die Frauen in ihrer größten Hilflosigkeit gezeigt und gezwungen werden, so zu tun, als ob sie ihre Tortur genießen.

Wenn ich die kleinen Kinder sehe, die in der Grundschule neben unserem Haus ankommen, sind sie natürlich schon von ihren Eltern, Nachbarn, Freunden und den Medien beeinflusst, aber sie leuchten trotzdem wie kleine Lichter und sind die Hoffnung für die Zukunft. Was werden wir, die Generation, die sich anschickt, sich zu verabschieden, ihnen hinterlassen? Die Empörung ist groß, wenn junge Menschen sich selbst als „die letzte Generation“ bezeichnen und Dinge tun, die unser tägliches Leben stören, so dass sie sogar mit Terroristen verglichen werden. Aber es ist bekannt, was ein gesundes Leben und eine gesunde Umwelt ausmacht, und dass die Bedingungen dafür einer großen Mehrheit der Weltbevölkerung vorenthalten werden. Mit den Verlusten, die einzelne Milliardäre an den Märkten machen, könnte man eine Kampagne zur Ernährung der Welt finanzieren, so pervers ist unsere Welt geworden – oder geblieben?

Wir müssen beginnen, den Sorgen der jüngeren Generationen um die Zukunft Gehör zu schenken, denn auch sie wissen kaum, an wen sie sich in den Stürmen unserer Zeit klammern können. Der Gedanke, dass ihr Licht aufgrund dessen, was wir getan oder nicht getan haben, vorzeitig „verblassen“ könnte, sollte uns im Herzen schmerzen.


[i] Und es scheint mir, du hast dein Leben gelebt

Wie eine Kerze im Wind

Du wusstest nie, an wen du dich klammern solltest

Wenn der Regen einsetzt

[ii] Leuchtende Augen

Brennen wie Feuer

Leuchtende Augen

Wie kannst du dich schließen und versagen?

Wie kann das Licht, das so hell brannte

Plötzlich so blass brennen?