Magie neu entdeckt – 18

Heimfinden

Bernd wusch sich und zog sich an, packte seinen Rucksack und nachdem er sicher war, dass er alles eingepackt hatte und der Safe leer war, verließ er das Zimmer und gab der Schlüsselkarte an der Rezeption ab. Er fragte, ob er noch Frühstück einnehmen dürfte und ob er etwas zahlen musste, aber alles war gedeckt und er aß genug, um möglichst den langen Tag zu überstehen.

Als er am Tisch saß, bemerkte er, wie die Koffer abgeholt wurden, was ihn beruhigte. „Zumindest das funktioniert,“ sagte er sich. Als er fertig war, machte er sich langsam auf dem Weg zum Bahnhof. Als er sein Ticket online gebucht hatte, bestätigte der App ihm eine Einzahlung, die er nicht getätigt hatte, und er wunderte sich darüber. Jaqueline hatte anscheinend einiges unter Kontrolle, an dem er nie gedacht hätte. Er hatte zumindest ein Ticket im Handy, und das war was zählte.

Die Ereignisse der letzten Woche hatten ihn verändert, stellte er fest, als er eine Route nahm, um möglichst viel anzusehen. Er hatte viel Zeit noch, und so schlenderte er gemütlich durch die Straßen mit Vorfreude auf sein kleines Haus und Garten. Angekommen, ging er zur Taschenabgabe und zahlte für die Koffer mit dem Geld, das Jacqueline ihm zukommen ließ. Er packte der Quittung weg und schaute in dem Fenster der Läden.

Das Handy in seinem Rucksack summte und er fand eine kurze Nachricht auf dem Telefon: „Sei vorsichtig! J.“ Er fragte sich, ob sie ihn irgendwie beobachtete und schrieb zurück: „Das tue ich, aber du auch!“ Es gab keine weiteren Nachrichten, aber Bernd war froh, dass Jacqueline an ihn dachte. Er war immer noch überrascht, dass Jacqueline an ihm interessiert war, aber vor allem, dass sie in so kurzer Zeit ein Teil seines Lebens geworden war. Er fragte sich, ob er hätte vorsichtiger sein sollen, aber er konnte sich nicht vorstellen, dass sie ihm etwas Böses wollte. „Ich habe nichts zu stehlen!“ kicherte er, und schließlich hatte sie ihm über tausend Euro geschickt.

Allmählich brachte der Zug mit den bunten Waggons neue Touristen zur Inselmitte, sowie Menschen, die Arbeit zu verrichten hatten. Er wartete, bis alle ausgestiegen waren und stieg mit den anderen Reisenden, dessen Urlaub beendet war, ein. Auf der langsamen Fahrt zur Fähre blies ein etwas kalte Brise durch die offenen Waggons, aber die Fahrt war schnell beendet, und alle stiegen um und gingen an Bord der Fähre. Die Karten wurden geprüft und bald saß er vorne am Boot und wartete bis sie ablegen. Als er zurückblickte über der Reling, meinte er Uri zu sehen, aber es war nur eine halbe Sekunde, und dann er war nicht mehr zu sehen.

Bernd mochte das Meer und dachte manchmal, er hätte die Marine dem Heer vorgezogen, aber er hatte sich mit dem Verlauf seines Lebens abgefunden. Vielleicht wäre sein Leben völlig anders verlaufen, aber andererseits hätte er nicht so viele Jahre mit Brigitte und den beiden Kindern verbracht. Er sagte sich, es sei lächerlich, darüber nachzudenken, wie die Dinge hätten sein können. Mit dem Wind im Gesicht sagte er, die Rückfahrt sei für ihn besser als die Fahrt nach Borkum. Er hatte es immer geliebt, mit Brigitte nach Hause in das kleine Reihenhaus zurückzukehren, das sie von Brigittes Eltern geerbt hatten, die kurz nacheinander gestorben waren, als sie gerade über dem Alter waren, in dem Bernd jetzt war. Brigitte hatte dieses Alter nicht erreicht, dachte er. Vielleicht lag es in den Genen.

Die fast dreistündige Schifffahrt endete und Bernd befand sich auf dem Weg zu seinem Zug vom Emder Außenhafen nach Rheine. Er war dankbar, dass die Sitzplatzreservierung auf der längsten Strecke funktioniert hatte und alle weiteren Verbindungen lediglich eine Störung und keinen Grund zur Verärgerung darstellten. Er erinnerte sich daran, dass er nach Hause kam und nichts anderes zählte. Er wollte während der ersten Fahrt etwas schlafen, konnte aber nicht einschlafen. Er ist einfach eingenickt. Als er in Rhein und dann in Hamm umstieg, überkam ihn ein Hochgefühl. Er war fast zu Hause, ein völlig anderes Gefühl als auf dem Weg nach Borkum. Er wollte seinen Kindern mitteilen, dass er auf dem Heimweg sei, traute sich aber nicht, sein Handy einzuschalten. Er sagte sich, dass sie ihn sowieso noch nicht erwarteten, also würde er von zu Hause aus anrufen.

Als er in Dortmund ankam, bahnte er sich seinen Weg durch das Chaos am Hauptbahnhof und fand ein Taxi, das von einem arabisch aussehenden Fahrer gelenkt wurde, der schlecht Deutsch sprach und nannte sein Ziel. Der Fahrer musste den Bachweg suchen, und Bernd half, indem er Jacquelines Handy einschaltete und die Route zeigte. Als sie kurz vor 18 Uhr vor dem Haus anhielten, bezahlte er und stieg aus. Er war so froh, angekommen zu sein, dass er, als er die Tür öffnete, seine Tasche abstellte, sein Fahrrad im Flur begrüßte, als wäre es ein freundlicher Hund, und sofort den Akku herausnahm, um ihn aufzuladen.

Dann schaltete er den Strom ein, drehte das Wasser auf, betrat das Wohnzimmer und ließ sich in seinen Lieblingssessel fallen. Er saß zehn Minuten da und schaute sich um, dann stand er auf, zog die Rollläden hoch und blickte in seinen Garten. Das Gras war gewachsen und musste gemäht werden, und er musste das Vogelhaus auffüllen, aber er sagte sich, dass morgen ein neuer Tag wäre. Er ging durch das Haus, die Treppe zu den beiden Schlafzimmern hinauf und dann die Treppe wieder hinunter, nur aus dem Vergnügen heraus, zu wissen, dass es da war.

Dann griff er zum Haustelefon und rief Sanni an. Sie antwortete: „Papa? Was machst du unter dieser Nummer? Bist du zu Hause?“

„Ja, ich bin gerade erst zurückgekommen. Ich habe abgebrochen und dachte, es wäre besser, nach Hause zu kommen.“

„Okay“, sagte Sanni vorsichtig, „Geht es dir gut?“

Bernd lächelte über die Besorgnis seiner Tochter: „Oh ja, ich bin so glücklich, zu Hause zu sein. Auf Borkum hat es nicht geklappt, aber mir geht es gut. Müde, aber okay.“

„Hast du Sascha schon angerufen?“ fragte Sanni und fügte hinzu: „Oder besser gesagt, tue es nicht. Er schläft wahrscheinlich. Er hatte ein hartes Wochenende.“

„Liebeskummer?“ fragte Bernd.

„Nein, ein bisschen zu viel getrunken. Ich mache mir sorgen um ihn, Papa. Er stürzt zu oft ab.“

Bernds Hochgefühl ließ nach, „Was hat er denn?“

„Ich weiß nicht, es kommt aus dem nichts. Die Jenni, seine neue Freundin, sagte sie versteht es auch nicht. Manchmal ist er himmelhochjauchzend und dann zu Tode betrübt.“

Bernd merkte, wie seine Stimmung veränderte, er fühlte sich schuldig, weil er sich nicht genug um Sasha gekümmert hatte und sagte, „Das hört sich wirklich nicht gut an. Wann denkst Du könnten wir mit ihm sprechen?“

„Am besten spreche ich mit ihm und wir kommen abends bei dir vorbei,“ schlug Sanni vor. „Ich glaube nicht, dass er möchte, dass du bei ihm auftauchst.“

„Warum nicht?“ fragte Bernd.

„Nun, seine Wohnung ist ziemlich unaufgeräumt,“ sagte Sanni, und Bernd wusste, dass sie untertreibt.

„Okay,“ sagte Bernd, „Aber wenn du anrufst, nutze diese Nummer, bis ich mein Handy wieder am Laufen habe.“

„Okay,“ sagte Sanni. „Ich melde mich, wenn ich mit ihm gesprochen habe. Schön dich zu hören Papa!“

„Ich freue mich auch, deine Stimme zu hören Sanni,“ erwiderte Bernd, und nachdem sie sich verabschiedeten, überlegte er, was er essen wurde.

Am nächsten Morgen fuhr Bernd mit dem Fahrrad und einem großen Korb auf dem Rücken zum Einkaufen. Als er nach Hause kam, traf er seinen Nachbarn und sie unterhielten sich über lokale Ereignisse und Bernds Reise. Anschließend verbrachte er Zeit damit, in seinem Garten zu arbeiten und sein Mittagessen vorzubereiten. Jacqueline meldete sich nicht und Sanni brauchte zwei Tage, um ein Treffen für den nächsten Tag zu vereinbaren. Allerdings wollte Sasha nicht zum Haus seines Vaters, sondern zum Lake Phoenix, dem etwa 24 Hektar großen künstlichen See auf dem ehemaligen Stahlwerksgelände. Sie hatten sich dort schon zuvor in einem Restaurant getroffen, und das war wieder der Plan. Bernd stimmte zu.

Am nächsten Morgen schellte es um elf Uhr und die Koffer wurden abgeliefert. Bernd packte seine Kleidung aus und füllte die Waschmaschine. Er zögerte aber bei Jacquelines Koffer. Wurde es ihr recht sein, wenn er ihre Unterwäsche waschen würde? Außerdem wusste er nicht, was sie sonst noch im Koffer hatte. Er nahm ihr Handy und schrieb eine Nachricht, in der Hoffnung, dass sie ihn sagen würde, was er tun sollte. Es kam aber keine Nachricht zurück.

Bernd traf Sanni und Sasha am frühen Abend. Obwohl es tagsüber bewölkt und kühl war, wollte Sasha draußen sitzen. Er brachte Jenni mit und nach einer gemischten Begrüßung setzten sie sich. Sanni schien sich zu freuen, Bernd zu sehen, und Jenni war eine reizende junge Dame, die Bernd mit einer Umarmung begrüßte. Sasha schüttelte seinem Vater widerwillig die Hand und sie machten sich an die Speisekarte. Die Frauen tauschten sich über das Angebot aus und Bernd beobachtete Sasha. Es schien ihm unangenehm zu sein, dort zu sitzen, und Bernd fragte: „Alles in Ordnung, Sasha?“

„Ja, ja, alles okay!“ erwiderte Sasha in einem abfälligen Ton.

„Es tut mir leid, dass ich in der Vergangenheit nicht für euch da war,“ versuchte Bernd als Friedensangebot. Sascha schaute ihn finster an, sagte aber nichts. Die Frauen merkten die Spannung und versuchten es mit guter Laune zu vertreiben. Anscheinend verstanden sie sich sehr gut. Er war froh, dass sie da waren, und schließlich wählten sie ihre Mahlzeiten aus und bestellten. Bernd bestellte dazu ein Bier, die beiden Frauen einigten sich auf einen Cocktail und Sasha bestellte eine Apfelschorle. Jenni kommentierte Bernds Fahrrad als sehr umweltfreundlich und er erzählte die Geschichte, wie er sein Auto verkauft und das Fahrrad gekauft hatte und welche Vorteile es hatte. Er fügte hinzu, dass er bei jedem Wetter draußen sei, aber daran habe er sich gewöhnt.

Nach dem Essen ging Sanni auf das vorliegende Problem ein. „Sasha, wir machen uns Sorgen, dass du regelmäßig abstürzt. Was ist los?“

Sasha sah Sanni an, als hätte sie ihn gerade betrogen, und Jenni legte ihren Arm um Sasha und sagte: „Liebe, sie meint es gut!“

„Ja, sie meint es immer gut“, antwortete Sasha, „aber sie ist immer neugierig!“

„Nein, bin ich nicht!“ Sanni protestierte, sprach dann ungewöhnlich laut flüsternd. „Aber du muss zugeben, dass du oft stockbesoffen bist.“

Sasha schaute Jenni an und fragte, „Wusstest du, dass sie mich bloßstellen wollte? Ist das hier eine Verschwörung.“

Jenni war bestürzt, „Schatz, wir lieben dich und machen uns Sorgen! Du sagst nichts …“ Sie fing an zu weinen und Sanni tröstete sie.

Bernd schaute Sasha an und sagte, „Mein Sohn, was ist los?“

Sasha stand auf, als wollte er gehen und sein Stuhl kreischte auf dem Boden. Ein Paar am nächsten Tisch waren erschrocken. Sasha bemerkte wie Menschen um sie herum auf ihn schaute und setzte sich wieder hin. „Ich kann hier nicht darüber reden“, sagte er.

„Aber wir hätten uns auch zu Hause treffen können“, sagte Bernd. „Sanni hat gesagt, dass du das nicht wolltest.“

„Ich bin nicht gern dort, jetzt wo Mama nicht mehr da ist!“ sagte Sascha. „Können wir es dabei belassen?“

„Ich vermisse deine Mama auch“, sagte Bernd leise. „Ich träume ständig von ihr.“

Sanni fügte hinzu: „Sasha, wir alle vermissen Mama, und Papa wurde krank, als sie starb. Du bist nicht allein!“

Jenni legte einen Arm um ihn und sagte: „Ich bin auch da, Liebling. Ich versuche zu helfen!“

Sasha sagte deutlich: „Das ist nicht der Grund, warum ich abstürze.“

Bernd fragte mit möglichst unterstützender Stimme: „Warum dann?“

Sasha stand langsam auf und fragte Jenni: „Kommst du mit mir?“

„Gehst du weg?“ fragte sie und stand auf.

Sascha holte sein Portemonnaie heraus und Bernd sagte: „Ich bezahle, mein Sohn. Aber du musst nicht gehen.“

„Doch, das muss ich“, sagte Sasha und machte sich auf den Weg mit Jenni im Schlepp, die versuchte eine entschuldigende Geste machte, und Sanni und Bernd blieben verblüfft sitzen.

Bernd wandte sich an Sanni und sagte: „Das wird dauern. Aber ich weiß nicht wirklich, wie ich an ihn herankomme.“

Sanni hatte Tränen in den Augen: „Ich weiß. Ich weiß es auch nicht. Ich möchte nicht, dass Jenni darunter leidet. Sie hat mich immer auf dem Laufenden gehalten.“

„Ja, ein nettes Mädchen“, sagte Bernd.