Magie neu entdeckt – 1 – Abgeneigt

Ein älterer Mann reiste von seiner Heimatstadt Dortmund auf die Nordseeinsel Borkum, es war sommerlich und warm. Er hatte geplant, drei Wochen Entspannungstraining im Kurort zu absolvieren und bereute schon jetzt die Zugfahrt, die viel zu lange dauerte und ihn zweimal umsteigen musste. Der Regionalzug von Dortmund zum Emder Hauptbahnhof war der längste Teil der Reise. Von Emden aus musste er umsteigen in den Emder Hafen und von dort aus mit der Fähre nach Borkum. Die „Inselbahn“ bzw. „Borkumer Kleinbahn“, die den Hafen mit der Stadt Borkum und anderen Orten der Insel verbindet, ist ein charakteristisches Fortbewegungsmittel der Insel und verleiht dem Ort einen einzigartigen Charme. Für unseren Reisenden ging der Charme in einem Anfall von Ängstlichkeit verloren.

Bernd wurde im Alter von 72 Jahren Witwer, ohne Vorwarnung oder Vorbereitung. Er verfiel in eine Depression, ging in Therapie und entwickelte eine Angststörung, die dazu führte, dass er den Kontakt vermied, sogar am Telefon, und Freunde schickten ihm entweder Nachrichten oder E-Mails. Bernd hatte sein Auto für genug Geld verkauft, um sich ein E-Bike zu kaufen, und verbrachte seine Zeit damit, herumzufahren und Pausen einzulegen, um zu lesen oder zu zeichnen. Der mittlerweile 74-Jährige fuhr oft mit der Straßenbahn in die Stadt zur Bibliothek, was eine emotionale Herausforderung darstellte. Trotzdem schaffte er es und saß normalerweise mit einem Buch, einem Notizbuch und einer Kanne Tee in der Ecke. Diese Reise auf die Insel war seit dem Schock über den Tod seiner Frau mehr herausfordernd wie jede andere gewesen, und als der Zug durch das Watt fuhr, tauchte ihr Gesicht vor seinem geistigen Auge auf. Er erinnerte sich an einen Familienkur vor fünfzig Jahren mit ihren Kindern.

Der farbenfrohe Zug mit seinen nostalgischen, aber spärlich ausgestatteten Waggons war mit einer Geschwindigkeit von rund 50 Kilometern pro Stunde unterwegs. Nach einer gut 15–20-minütigen Fahrt erreichten sie den Bahnhof Borkum im Zentrum der Insel, die Endstation. Ein rotes Backsteingebäude kam in Sicht, und alle Reisenden sprangen auf und sammelten ihre Taschen und ihr Gepäck zusammen, sodass Bernd ihnen in seiner Angst den Vortritt ließ, da sie alle in Eile zu sein schienen. Sein Gepäck war vorausgeschickt worden, um Probleme beim Umsteigen zu vermeiden, aber es war kein Problem, die Sammelstelle zu finden. Anschließend ging er zu Fuß über die Deichstraße zum Nordsee-Hotel, 300 Meter vom Nordbadestrand, aber 30 Minuten vom Bahnhof entfernt. Andere zogen ihre Koffer hinter sich her und gingen ungefähr in die gleiche Richtung, also folgte er ihnen.

Bernd informierte sich im Zug über die Insel, um zu sehen, ob sich dort viel verändert war, und fand heraus, dass die Stadt Borkum eine lange Geschichte hatte, da sie bereits im Mittelalter besiedelt war und sich im Laufe der Jahrhunderte zu einem beliebten Touristenziel entwickelte. Er erinnerte sich vage an die Besichtigung der verschiedenen historischen Gebäude und Wahrzeichen, die von der langen Geschichte der Insel zeugten, und das er wahrscheinlich hätte er damals mehr beeindruckt sein sollen. Beim aussuchen eines Ziels für seinem Kur, erinnerte er sich jedoch an das gesunde Nordseeklima der Insel.

Bald wurde die Gruppe kleiner, als alle ihre jeweiligen Unterkünfte erreichten und auch sein Hotel kam in Sicht, als sie am Park in der Wester Straße vorbeikamen. Bernd schwitzte bereits in der Sonne und auch die warme Brise, die über die Insel wehte, half nicht gerade. Obwohl er nach der Fahrt froh war, seine Beine bewegen zu können, wurde die Reisetasche, die er trug, langsam schwer und Bernd er schaute dankbar auf das Hotel, das er langsam näherte. Die Sonne schien heiß im Windschatten, als Bernd das Hotel von der Strandseite her betrat, und er fand einen Trolley für das Gepäck, auf dem er die Tasche abstellte und sich die schmerzende Schulter rieb. Zwei Familien checkten vor ihm ein, also wartete er ruhig in der Warteschlange, bis sie fertig waren.

Während er dort stand, dachte Bernd darüber nach, dass die Reise zuerst eine spontane Idee gewesen war, von der er nun das Gefühl hatte, dass sie zu sehr seine Routine unterbrochen hatte, die ihm bisher geholfen hatte, sein Leben weiterzuführen, und seine Angstgefühle ließen ihn die Reise bereuen. Während er zusah, wie sich das Einchecken vor ihm abspielte, beschloss er, die Therapie schnell hinter sich zu bringen und dann nach Hause zurückzukehren, wo er sich besser fühlte. Er war erleichtert, als eine Mitarbeiterin auf ihn zukam und ihn bat, zum Einchecken nach vorne zu kommen. Nach dem Einchecken wurde er mit seinem Gepäck auf sein Zimmer gebracht und nachdem er dem jungen Mann ein Trinkgeld gegeben hatte, inspizierte er sein Zimmer. Es war angenehm eingerichtet, aber klein, und er konnte sich vorstellen, dass er nicht viel Zeit darin verbringen würde. Als er das Fenster öffnete, war der Geruch der Meeresluft erfrischend. Das Geräusch der Möwen erinnerte ihn daran, wie weit er von zu Hause entfernt war. Er zog Schuhe und Jacke aus, fiel auf das Bett und schlief sofort ein.

Als er aufwachte, geriet er in Panik, wie er es seit dem Verlust seiner Frau so oft getan hatte. Die fremde Umgebung war noch fremder im Dunkel, und ihm wurde klar, dass er mehrere Stunden geschlafen hatte. Er war hungrig und beschloss, zur Promenade hinunterzulaufen, um zu sehen, ob es eine Möglichkeit gab, etwas zu essen zu bekommen, da das Hotel nur Frühstück servierte. Er wich den Menschengruppen aus, fand ein Restaurant in der Bismarckstraße und bestellte einen Snack. Nachdem er bezahlt hatte, lief er zum Leuchtturm und um die Nordseeklinik herum zu seinem Hotel, wo er mit seinem Lesegerät in der Bar saß und in seinen englischsprachigen Büchern blätterte. Unzufrieden beschloss er, am nächsten Tag nach seinem Therapietermin die ausgeschilderte Bibliothek aufzusuchen, die er auf dem Weg bemerkte, und zog sich dann in sein Zimmer zurück.

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